Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

50 Grundzüge des Versassungsrechts des deutschen Reichs. 
insbesondere, wie bereits oben bemerkt, alle aus dem Glaubensbekennt- 
nisse abgeleiteten Nachtheile in Bezug auf die Ausübung bürgerlicher 
und staatsbürgerlicher Rechte beseitigt werden. 
8) Das Gemeindewesens) der Einzelstaaten wird dadurch be- 
rührt, daß dem Reiche nach Art. 4 Ziff. 1 die Gesetzgebung über Frei- 
zügigkeit, sowie über die Heimats= und Niederlassungsverhältnisse zu- 
kommt. Demzufolge wurde zunächst durch Art. 3 der Verfassung und 
durch das Freizügigkeitsgesetz den Gemeinden die Befugniß entzogen, 
Bundesangehörigen den Aufenthalt, die Niederlassung, die Erwerbung 
von Grundeigenthum oder den Gewerbebetrieb durch lästige Bedingungen 
zu erschweren. 
Sodann wurden, wie bereits oben sub Ziff. 3 erwähnt, die 
polizeilichen, insbesondere aus dem Gemeindeverbande fließenden Ehe- 
hindernisse aufgehoben,“) und endlich wurde das Heimatwesen in 
ganz Deutschland mit Ausnahme Bayerns, durch ein gemeinsames Gesetz 
vom 6. Juni 1870, den Unterstützungswohnsitz betreffend, geregelt. In 
dem letzteren Gesetze (5 1 u. 10) ist der Grundsatz aufgestellt, daß 
jeder Deutsche in jedem Bundesstaate in Bezug auf das Maß und die 
Art der im Falle der Hilfsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen 
Unterstützung*““), sowie in Bezug auf den Erwerb und Verlust des 
Unterstützungswohnsitzes als Inländer zu behandeln ist, und daß ein 
Deutscher, welcher innerhalb eines Ortsarmenverbandes nach zurück- 
gelegtem 24. Lebensjahre zwei Jahre lang ununterbrochen seinen ge- 
wöhnlichen Aufenthalt gehabt hat, dadurch von Rechtswegen den 
über den Adel, der Familienfideikommisse, die Siegelmäßigkeit, die Rechtsverhält- 
nisse der guts= und standesherrlichen Familien, sowie der Familienglieder des 
königl. Hauses, dann über die rechtliche Stellung der Juden näher entwickelt sind; 
über die deßfallsigen preußischen Verhällnisse s. Rönne I. c. § 106—108. 
*) Hinsichtlich der Verhältnisse der bayrischen Orts-, Distrikts= und Kreis- 
gemeinden, dann des bayrischen Heimatwesens vergleiche Pözl I. c. § 97—145, 
dann meine Kommentare zu den bayrischen Geseyen über Heimat, Verehelichung 
und Aufenthalt, und über die öffentliche Armenpflege. Ueber die Provincial= 
Stände, die Kommunallandstände und die Kreisstände in Preußen s. Rönne I. c. 
5 142—183. 
»*) Das Gesetz lber die Aufhebung der polizeilichen Beschränlungen der 
Eheschließung vom 4. Mai 1868 gilt in Bayern nicht. 
*“) Vergl. über die Verhällnisse in Bayern oben den 8 3 Ziff. VII Nr. 1.
	        
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