Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

52 Grundzüge des Verfassungsrechts des deutschen Reichs. 
11) Was die Justizgewalt“) insbesondere betrifft, so übt das 
Reich,“*) abgesehen von dem Rechte der Gesetzgebung in Bezug auf ver- 
schiedene wichtige Malerien#) (Art. 4 Ziff. 6 und Ziff. 11— 13) un- 
mittelbar das oberste Richteramt in Handels-, Nachdrucks= und Heimat- 
sachen, dann die Konsulargerichtsbarkeit (Gesetz vom 8. November 1867 
betreffend die Organisation der Vundesconsulate) und wenigstens in 
Kriegszeiten, die Militärjustiz. — Auf Grund eines Neichsgesetzes sind 
die Gerichte, wie oben erwähnt, verbunden, die Urtheile der Gerichte 
anderer Bundesstaaten zu vollstrecken (Ges. über die Gewährung der 
Rechtshilfe vom 21. Juni 1869). In Fällen der Justizverweigerung 
ist Beschwerde an das Neich zulässig (Art. 77 der Verf.). 
12) Auch die Polizeigewaltt) der Landesregierungen hat 
einige Schmälerung erlitten, indem die Beaufsichtigung und Gesetzgebung 
in Bezug auf eine Anzahl polizeilicher Materien nach Art. 4 der Verf. 
dem Reiche zusteht, und durch einzelne Gesetze ein unmittelbares Ein- 
greifen der Reichsgewalt in den polizeilichen Vollzug zugelassen ist, z. B. 
in dem Paßgesetze vom 12. Oktober 1867 § 9, und in dem Gesetze, 
Maßregeln gegen die Ninderpest vom 7. April 1869 § 12. 
13) In umfassender Weise concurrirt das Reich bezüglich der 
Staatspfleget#) mit den Landesregierungen, wie aus Art. 4 Ziff. 1 
(Gewerbewesen, Versicherungswesen, Kolonisation und Auswanderung 
nach außerdeutschen Ländern), Ziff. 3 (Ordnung des Maß-, Münz- 
und Gewichtssystems, Feststellung der Grundsätze über die Emission 
von Papiergeld), Ziff. 4 und 5 (Vankwesen und Erfindungspatente), 
Ziff. 7 (Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels 
im Auslande, der deutschen Schifffahrt und ihrer Flagge und gemein- 
same konsularische Vertretung), Ziff. 8 (Eisenbahmwesen, Herstellung von 
Land= und Wasserstraßen) und Ziff. 9 (Flößerei und Schifffahrts- 
betriebr), dann aus den Abschnitten VI (Zoll= und Handelswesen), 
*) Vgl. hiezu Pözl l. c. 5 167—170; dann Rönne I. c. 8 53—58. 
*“)Siehe hiezu oben § 2 Ziff. VI. 
*““) Das dem Reiche zustehende Recht, das gerichtliche Verfahren zu regeln, 
schließt auch Organisalionsbefugnisse in sich. 
) Vergl. Pözl I. c. § 171 u. 172; dann Rönne I. c. 8 59—62. 
## 0 Siehe Pözl 1. c. § 173.
	        
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