Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

B. Verfassungsurkunde des deutschen Reichs. 75 
3) Zu erwähnen ist, daß der Verfassungsentwurf vielfache An- 
grisfe zu erdulden hatte, von denen sich die lebhaftesten auf den Mangel 
von Grundrechten des deutschen Volkes, auf die Befugnisse des Bundes- 
raths und die Stellung des preußischen Staales im Bunde, auf die 
Ministerverantwortlichkeit, auf die Diätenlosigkeit der Abgeordneten, auf 
das Budgetrecht des Reichstags und dessen Stellung überhaupt, sowie 
auf das Militärwesen bezogen. Verschiedene Bedenken wurden durch 
die im constituirenden Reichstage beschlossenen Modifikationen des ersten 
Entwurfs beseitigt; die berechtigten Wünsche in Betreff der Freiheits- 
rechte des deutschen Volks wurden später im Wege der Einzelgesetz- 
gebung großentheils erfüllt, die Befürchlungen, daß der Bundesrath die 
Entwicklung der Verfassung hemmen und den preußischen Staat ma- 
jorisiren werde, erwiesen sich bis jetzt als grundlos, und die Ein- 
richtungen bezüglich des Militärwesens haben sich im Jahre 1870 
glänzend erprobt; so kam es, daß viele Gegner des Verfassungsent- 
wurfs im Laufe weniger Jahre zu eifrigen Anhängern und Verfechtern 
der norddeutschen Bundesverfassung wurden. 
III. In eine weitere Phase der Entwickelung traten die deulschen 
Verhältnisse durch den am 8. Juli 1867 zwischen dem norddeutschen 
Bunde und den süddeutschen Staaten abgeschlossenen Zollvereins- 
vertrag"), durch welchen die gesetzgebende Gewalt in Bezug auf das 
Haudels= und Zollwesen und einzelne der in Art. 35 der Verf. erwähnten 
indirekten Steuern auf den in derselben Weise wie der norddeulsche 
Bundesrath zusammengesetzten Zollbundesrath und das Zollpar- 
lament übertragen wurde, welches aus den Mitgliedern des norddeutschen 
Reichstags und aus — nach gleichen Principien gewähllen — Ver- 
tretern des süddeutschen Volkes bestand. Dieser Vertrag, dessen Dauer 
vorläufig bis zum letzien Dezember 1877 in Aussicht genommen war, 
ist nunmehr durch die Bestimmungen in Art. 33 ff. der Reichsverfassung 
ersetzt, und das Verhältniß ist zu einem definitiven verfassungsmäßigen 
umgestaltet. 
  
) S. Vayr. Eesetzbl. 185, S. 80 fl.
	        
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