Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

88 Gesetz, belresfend die Verfassung des deutschen Reichs. Art. 3. 
werden, dagegen ergiebt sich hieraus, daß die Möglichkeit, die Vorbedin= 
gungen zur Anstellung in einem Bundesstaate zu erfüllen und nachzu- 
weisen, also in specie die Zlafung zu öffentlichen Anstalten und Prüf- 
ungen, jedem Deutschen gleich den Landesangehörigen zu gewähren ist. 
5. Nach § 13 der I. Beilage zur bayrischen Verfassungsurkunde 
konnten „aus zwärtige Unterkhanen“ auch bisher schon in Bayern Grund- 
eigenthum erwerben und besitzen. Hieran wird durch die Reichsverfass- 
ung nichts geändert; soweit jedoch den Forensen (im Sinne der bayrischen 
Verfassungsurkunde) lästigere Bedingungen in Betreff ihres Grundbesitzes 
als den Bayern auferlegt sind, werden deutsche Bundcsangehörige wie die 
Vayern zu behandeln sein. 
6. Der Unterschied zwischen Indigenat und Staatsbürgerrecht wurde 
bereits oben in Note 2 hervorgehoben; der Art. 3 der Verfassung siellt 
daher auch die Deutschen nur bezüglich der Erlaungung des Staats- 
bürgerrechtes gleich, was offenbar nichts anderes bedeutet, als daß Deutsche, 
welche das Indigenat in einem Bundcsstaate erworben haben, bezüglich 
der Fähigkeit, das Staatsbürgerrecht auszuüben, wie Eingeborene zu be- 
handeln seien. Wenn daher z. B. in § 8 der I. Beilage zur bayrischen 
Verfassungsurkunde bestimmt ist, daß bei Neueinwandernden zur-Ausübung 
des bayrischen Staalsbürgerrechts ein Zeitablauf von 6 Jahren erfordert 
wird, so wird diese Bestimmung auf diejenigen, welche aus einem ande- 
fren deutschen Staate nach Bayern überziehen, für die Folge keine An- 
wendung mehr finden können, während sie bezüglich naturalisirter Aus- 
länder OAiichtdeutscher) auch ferner giltig ist. 
7. Der unbestimmte Ausdruck „sonstige bürgerliche Rechte“ bildet 
offenbar einen gewissen Gegensaß zu den staatsbürgerlichen Befugnissen, 
und es werden sohin darunter alle diejenigen, nicht bereils in Ark. 3 
Abs. I und Abs. III der Verfassung erwähnten allgemeinen Rechte zu 
verstehen sein, welche nicht als unmittelbarer Ausfluß des Staatsbürger- 
rechts erscheinen; (vergl. hierüber Thudichum, Verfassungsrecht. S. 70.) 
8. Vergleiche hiezu das am 1. Juli 1871 auch in Bayern in 
Wirksamkeit tretende Reichsgesetz, die Gewährung der Rechtshilfe betreffend, 
vom 21. Juni 1869, worin die näheren Bestimmungen über die Rechts- 
hilse in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen getroffen sind. 
Dieses Gesetz enthält insbesondere in § 39 den Grundsatz, daß bei An- 
wendung der Civil= und Strafprozeßgesetze, welche Vorschristen zum Nach- 
theile der Ausländer enthalten, jeder Norddeutsche als Juländer anzusehen 
sei. Das deutsche Strafgesetzbuch betrachtet das Reich in Ansehung der 
Uebertretung der Strasgesetze als ein einheilliches Gebiet. 
9. Die Bestimmungen über Armenversorgung sind für das Gebiet 
des norddeutschen Bundes durch das am 1. Juli 1871 auch in Süd- 
hessen in Wirksamkeit tretende Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 
6. Juni 1870 in der Weise geregelt, daß jeder (Nord)-Deutsche in Be-
	        
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