Johannes XXII. (Kap. Quorundam lI. d. V. S. (14): „Groß
ist zwar die Armuth, größer noch die Keuschheit, das höchste Gut
aber ist die unverletzte Bewahrung des Gehorsams. Denn die
Armuth bringt nur die Herrschaft über die Außenwelt, die Keusch-
heit über das Fleisch, der Gehorsam aber beherrscht Seele und
Geist, welche er, als gleichsam zügellose und freie, durch das
Joch des sich demüthigenden eigenen Willens fremder Herrschaft
untergiebt.“ Es ist in dieser Stelle zwar zunächst nur von dem
Gehorsame gegen die geistliche Obrigkeit die Rede, aber dasselbe
gilt von demjenigen gegen die weltliche; denn die Kirche hat bei-
des immer neben einander gestellt, beide Pflichten gleich streng
auferlegt und eingeschärft, beiderlei Gehorsam eine und dieselbe
Grenze gesetzt: (Acta Apost. V. 29 und vielfache Stellen des
kanonischen Rechtes) die, wenn der ertheilte Befehl dem offenbaren
Gebote Gottes zuwider ist; ich verweise in Bezug auf diese Gleich-
stellung nur auf den Catechismus Romanus"), welcher in demsel-
ben Hauptstücke und in derselben Weise von dem Gehorsame ge-
gen die weltliche Obrigkeit redet, als von dem gegen die geistliche.
Die Kirchenlehre giebt nun zwar das normale Verhältniß
an, in welchem die weltliche zur geistlichen Obrigkeit stehen soll;
sie ist gesetzt, um in ihrem Kreise zur Vollführung des Willens
Gottes, zur Ausbreitung Seines Reiches zu wirken, den Willen
Gottes aber offenbart die Kirche, sie lehrt uns Seine Gebote;
die weltliche Obrigkeit hat daher ihrerseits die kirchliche Obrigkeit
zu unterstützen, sie hat ihr Amt im Sinne des Christenthumes zu
verwalten und ist dafür Gott verantwortlich. Da jedoch der Ge-
horsam nicht um der Person des Befehlenden willen geboten ist,
sondern wegen des von ihm bekleideten Amtes und um des Heiles
des Gehorchenden selbst willen, so ist die Pflicht des Gehorsams
nicht an die Bedingung geknüpft, daß der Befehlende Gottes Willen
thue; „denn nicht der Menschen Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit,
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) Libr. Symb. Eccl. Rom. Cath. ed. Danz. Catechism. Roman. 1.
III. de IV. praecepto c. 3.
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