Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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Im Munde der freisinnigen Partei bedeutete das Verlangen 
verantwortlicher Minister etwas anderes. Die Absicht ging zwar 
auch auf Enteignung des Bundesrats, aber nicht zu Gunsten 
des Kaisers, sondern zu Gunsten des Reichstags, auf Herstellung 
einer von der Reichstagsmehrheit abhängigen parlamentarischen 
Reichsregierung. Bei der Rücksichtslosigkeit, die jeder Demokratie 
von Natur aus eigen ist und eigen sein muß, würde ein solches 
Regiment für Deutschland die schwersten politischen Kämpfe und 
die Erschütterung seiner Verfassung bedeutet haben. 
Es ist begreiflich, daß ein derartiger Angriff auf sein 
Lebenswerk den Fürsten Bismarck auf dem Platze fand. Die 
Erklärung, welche Preußen in der Bundesratssitzung vom 
5. April 1884 abgab, ist eine der gewaltigsten Staatsschriften 
zur inneren Politik, die jemals der Feder des ersten Reichs= 
kanzlers entflossen sind. Sie ist freilich in den wissenschaftlichen 
Darstellungen des Reichsstaatsrechts wenig beachtet, ja fast 
ignoriert worden, vielleicht deshalb, weil das Zeugnis, das sie 
für die föderativen Grundlagen der Reichsverfassung ablegt, nicht 
recht zu den vorherrschenden Theorien paßt. 
Es empfiehlt sich, erklärte Preußen, keinen Zweifel darüber 
aufkommen zu lassen, daß die verbündeten Regierungen ent= 
schlossen sind, die Verträge, auf welchen unsere Reichseinrichtungen 
beruhen, unverbrüchlich aufrecht zu erhalten. Eine Verminderung 
der Zuversicht in die Festigkeit dieser Verträge könnte, zumal in 
Zeiten politischer Krisen, von bedenklicher Wirkung sein. Die 
preußische Regierung ist sich bewußt, unter schweren Kämpfen und 
Gefahren erfolgreich dafür eingetreten zu sein, daß dem deutschen 
Volke das erforderliche Maß von Einheit gewonnen werde. Um 
so sorgfältiger ist sie darauf bedacht, zu verhüten, daß dieser Ge= 
winn durch politische Mißgriffe wieder in Frage gestellt werde. 
„Einen solchen Mißgriff würde sie in jeder Überschreitung 
der Bedürfnisgrenze in unitarischer Richtung erblicken. Die 
Einrichtung verantwortlicher Ministerien im Deutschen Reiche 
ist nicht anders möglich, als auf Kosten der Summe von ver= 
tragsmäßigen Rechten, welche die verbündeten Regierungen
	        
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