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zu dem preußischen Konflikte das Wort geführt hatten. Bei An=
nahme des Frankfurter Programms von 1849 war der Gedanke
maßgebend, daß vor Allem zunächst die deutsche Einigkeit und
ihre europäische Anerkennung sicher zu stellen sei, und daß die
Steine, die für den hastigen Bau des Reiches vorhanden waren,
auf ihre Haltbarkeit einstweilen so genau nicht zu prüfen wären,
indem die deutsche Nation intelligent und selbstbewußt genug ist,
um sich, sobald sie vom Ausland ungestört sich organisieren kann,
nach ihrem Ermessen einzurichten. Es war die Ansicht maßgebend,
welche sich in dem oft zitierten Vergleiche aussprach: „Setzen
wir Deutschland nur in den Sattel, reiten wird es schon können!“
Es bestand die Überzeugung, daß ein Volk, wie das deutsche,
wenn es zu der Erkenntnis gelangt, daß bei der ersten Gründung
des deutschen Reiches ihm nicht passende Einrichtungen mit über=
nommen seien, klug und besonnen genug sein werde, sie nach
eigenem Ermessen zu verbessern.“
Über die früheren Motive und die spätere Modifikation
seiner Ansicht bezüglich des Wahlrechtes äußert sich Fürst Bismarck
in den „Gedanken und Erinnerungen“ :⁶⁵)
„Im Hinblick auf die Notwendigkeit, im Kampfe gegen eine
Übermacht des Auslandes im äußersten Notfall auch zu revo=
lutionären Mitteln greifen zu können, hatte ich auch kein Be=
denken getragen, die damals stärkste der freiheitlichen Künste, das
allgemeine Wahlrecht, schon durch die Zirkulardepesche vom
10. Juni 1866 mit in die Pfanne zu werfen, um das monar=
chische Ausland abzuschrecken von Versuchen, die Finger in unsere
nationale omelette zu stecken. Ich habe nie gezweifelt, daß das
deutsche Volk, sobald es einsieht, daß das bestehende Wahlrecht
eine schädliche Institution sei, stark und klug genug sein werde,
sich davon frei zu machen. Kann es das nicht, so ist meine
Redensart, daß es reiten könne, wenn es erst im Sattel säße,
ein Irrtum gewesen.
⁶⁵) efr. Gedanken und Erinnerungen II, pag. 58—60 bei J. G. Cotta,
Stuttgart 1898.