Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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den Gesetzvorschlägen ist innerhalb der Staatsregierung bisher 
nicht erfolgt, aus zwei leicht erkennbaren Gründen. Erstlich ist 
die preußische Gesetzgebung seit dem Jahre 1866 — die Periode 
seit Erlaß der Verfassung bis zu dem eben genannten Jahre 
war zu einer Reform des Wahlgesetzes noch weniger geeignet 
— ununterbrochen durch dringende Aufgaben anderer Art in 
Anspruch genommen worden, die weniger Aufschub litten, als 
die schließlich formale Regelung des Wahlverfahrens; denn 
darüber herrscht ein vielfaches Einverständnis, daß die Ver= 
schiedenheit der Wahlsysteme auf die Zusammensetzung der 
Parlamente zwar von Einfluß ist, daß aber dieser Einfluß lange 
nicht so weit gehe, als man zu Zeiten wohl angenommen hat. 
Ein zweiter Grund, der es erklärlich macht, weshalb die 
Staatsregierung an eine Reform des Wahlsystems die Hand 
zu legen zögerte, sind die inneren Schwierigkeiten, welche einer 
befriedigenden Lösung dieser Aufgabe entgegenstehen. 
Sicherlich kann ein Vorwurf nicht erhoben werden wegen 
Beibehaltung einer Einrichtung, deren Funktion, welchen Ein= 
wänden sie auch unterliegen mag, jedenfalls ein Abgeordneten= 
haus aus der Wahl hervorgehen läßt, das im wesentlichen die 
Stimmung und Wünsche des Volkes abspiegelt. Wäre dies 
nicht der Fall, so hätte das Wahlgesetz zur Bildung des preu= 
ßischen Abgeordnetenhauses nicht dreiunddreißig Jahre bestehen 
können, ohne daß die öffentliche Stimme sich ganz anders gegen 
dasselbe erhoben hätte, als es der Fall gewesen ist. Man wird 
ohne Widerspruch sagen dürfen, daß in diesen dreiunddreißig 
Jahren die Abgeordnetenhäuser die wechselnden Stimmungen 
des Volkes im wesentlichen zutreffend ausgedrückt haben. 
Was man an dem Wahlverfahren jetzt auf einmal uner= 
träglich finden will, sind die unbequeme Formalitäten: die in= 
direkte Wahl, das Dreiklassensystem, die mündliche Stimmabgabe 
anstatt der schriftlichen. 
Die Tadler machen sich doch die Aufgabe des Ersatzes zu 
leicht, wenn sie ohne weiteres das Reichswahlsystem für die 
Bildung des preußischen Abgeordnetenhauses vorschlagen. Von
	        
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