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Darauf erwiderte Fürst Bismarck in seinem Hamburger
Organ⁷⁶):
„Der Plan einer Abänderung des Wahlsystems zur Be=
seitigung der Wahlverstärkumg, die durch die neuen Steuergesetze
den besitzenden Klassen verliehen wird, erscheint glaubhaft. Er
paßt in den Rahmen einer Politik hinein, die ihrer Anlage
und Tendenz nach darauf gerichtet ist, Erwerb und Besitz mit
neuen Lasten zu belegen und den Einfluß der betreffenden Be=
völkerungsklassen im Staate zu schmälern. Wie in früheren
Zeiten ein Kampf gegen die Macht des Adels zur Herstellung
der monarchischen Gewalt erfolgreich durchgeführt wurde, so
scheint jetzt die auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens in den
Vordergrund getretene Macht des besitzenden und intelligenten
Bürgertums das Objekt einer Repression bilden zu sollen. Die=
selbe erfolgt angeblich aus sozialpolitischen Gründen zur Ent=
lastung der Schwachen auf der Basis der kaiserlichen Botschaft
vom 17. November 1881. Aber so wenig diese Botschaft eine
Kapitulation der bürgerlichen Gesellschaft vor den Forderungen
der Sozialdemokratie zum Ziele hatte, so wenig glauben wir,
daß die Steuer= und Wirtschaftsreform, die jetzt betrieben wird,
im Sinne der kaiserlichen Botschaft erfolgt. Dieselbe war aller=
dings auf den Schutz der Schwächeren gerichtet; aber es lag ihr
fern, diese Absicht anders verwirklichen zu wollen, als durch die
Gesetzgebung, welche mit der Alters= und Invaliditätsversicherung
ihren Abschluß gefunden hat. Eingriffe in die Autonomie der
Arbeiter und Arbeitgeber, wie sie später durch die Gesetzgebung er=
folgt sind, waren ihr ebenso fremd, wie gesetzliche Maßregeln,
welche in den besitzenden und arbeitgebenden Klassen die Empfin=
dungen hervorrufen mußten, daß es sich dabei um Bekundung
des Gegenteils von Wohlwollen für sie und um weitere Ver=
suche zur Versöhnung der Sozialdemokratie handelt. Für uns
steht es fest, daß solche Versuche lediglich Verstimmung der be=
troffenen Klassen und Schädigung des wirtschaftlichen Lebens
⁷⁶) efr. „Hamb. Nachr.“ vom 13. Mai 1892.