Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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gebung, während die Ernennung eines Reichstagsabgeordneten 
nur den 397sten Anteil an der Gesetzgebungskörperschaft bedeuten 
würde. Außerdem steht den Bundesratsmitgliedern das Recht 
zu, im Reichstage jederzeit in jeder Sache das Wort zu er= 
greifen, ohne daß der Reichstagspräsident es hindern könnte, 
und selbst wenn das Bundesratsmitglied für eine Sache spricht, 
die im Bundesrat in der Minorität geblieben ist⁸²). Dem Bundes= 
rate ist die Möglichkeit der Mitwirkung im nationalen Leben 
gegeben, und es hat mir eine Enttäuschung bereitet, daß von 
diesem Rechte bisher nicht mehr Gebrauch gemacht worden ist. 
Wie die Verfassung in ihren Grundzügen angelegt wurde, hatte 
ich mir gedacht, daß die Bundesbevollmächtigten auch im Reichs= 
tage mehr sprechen würden, und daß jeder Staat von den In= 
telligenzen, die er zur Verfügung hat, abgesehen von denjenigen, 
welche in seinen ministeriellen Ämtern sind, auch im Reichstage 
Gebrauch machen würde. Ich dachte mir außerdem, daß die 
Landtage der einzelnen Staaten sich an der Reichspolitik lebhafter, 
als bisher geschehen, beteiligen würden, daß die Reichspolitik 
auch der Kritik der partikularistischen Landtage unterzogen werden 
würde. Dafür weiß ich bisher kein Beispiel; nichtsdestoweniger 
bin ich mit dieser Meinung im verfassungsmäßigen Rechte. Ich 
hatte mir bei der Aufstellung der Verfassung ein reicheres Or= 
chester der Mitwirkung in den nationalen Dingen gedacht, als 
es sich bisher betätigt hat, weil die Neigung zur Mitwirkung in 
den einzelnen Staaten nicht in dem Maße, wie vorausgesetzt 
worden, vorhanden war. Denken Sie, daß die nationalen 
Interessen nicht nur in unserm Bundesrate und im Reichstage 
diskutiert, sondern auch in den einzelnen Landtagen vertreten und 
besprochen würden: würde die Teilnahme dafür nicht lebhafter 
⁸²) Vergl. hierzu Artikel 9 der „R. V.“ Derselbe lautet: 
„Jedes Mitglied des Bundesrates hat das Recht, im Reichs= 
tage zu erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit 
gehört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, 
wenn dieselben von der Majorität des Bundesrates nicht adoptiert worden sind. 
Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrates und des Reichstages sein.“
	        
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