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werden? Ich fürchte, es zeigt nicht einen Fortschritt, sondern eine
Rückentwickelung, wenn die große Zahl der Landtage, die zur Mit=
arbeit berufen waren, von diesen ihren Mitteln keinen Gebrauch
macht und sich keine Geltung verschafft; infolgedessen durchdringt
das nationale Gefühl nicht alle Poren, alle Adern in dem Maße
wie ich gehofft hatte, und wie es wünschenswert wäre und in
Zukunft der Fall sein möge. Das Blut konzentriert sich jetzt
in Kopf und Herz, in Bundesrat und Reichstag. Wenn der
Bundesrat öffentlich in seinen Sitzungen wäre, so würde er
wirksamer sein. Wenn die Abgeordneten für den Bundesrat
danach ausgesucht würden, daß man Gewißheit hätte darüber,
daß sie auch im Reichstag sprechen würden, so wäre es besser.
In der Zeit, wo die Verfassung entstand, pulsierte das nationale
Leben so stark, daß jeder, der auch nur einen Zipfel davon er=
faßte, sich der Strömung hingab. Ich kann nicht sagen, daß die
Hoffnung, dies würde andauern, sich bestätigt hat. Es ist eine
alte deutsche Neigung, zu warten, daß andere das machen
möchten, wobei man selbst Hand anlegen sollte.
Ich hoffe auf andere Zeiten, wo das nationale Gefühl wieder
stärker sein und man zum Nachdenken darüber kommen wird,
welche Mittel wir haben, es lebendig zu erhalten.
Solche Mittel sind zunächst in der Institution der Land=
tage, dann in der des Bundesrates vorhanden. Der Bundesrat
hat in seinen Beschlüssen eine amtliche Gültigkeit; aber in der
öffentlichen Meinung hat er nicht die Bedeutung erreicht, wie ich
es mir gedacht hatte. Es kann ihm auf die Weise ergehen, wie
dem preußischen Herrenhause, welches auch aus Mangel an ini=
tiativer und bemerkbarer Tätigkeit nicht die Autorität hat, die
ein Oberhaus haben sollte. Und Gott möge verhüten, daß der
obere Faktor unserer Gesetzgebung, der Bundesrat, in der öffent=
lichen Meinung Deutschlands die Gleichberechtigung mit dem
Reichstage verliere.
Ich bin da, wie es einem natürlich ergehen wird, der zeit=
lebens Politik getrieben hat und der nichts zu tun hat, als über
die Vergangenheit nachzudenken, in eine weitläufige Erörterung
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