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Das Abgeordnetenhaus überwies den Antrag mit den Ge=
setzen einer Kommission. Fürst Bismarck ließ in der „Provinzial=
Correspondenz“ für den Standpunkt des Herrenhauses das Nach=
folgende ausführen:
„Die Staatsregierung hat, indem sie die Vorlagen zuerst
dem Herrenhause überwies, zunächst lediglich dem früher ge=
äußerten wohlberechtigten Wunsche dieser hohen Körperschaft,
beim Beginn einer Session mit einem etwas reichlicheren Arbeits=
stoff versehen zu werden, entsprechen wollen. Der diesem Ver=
fahren möglicherweise entgegenzustellende Artikel der Verfassung
traf nach ihrer Ansicht in diesem Falle nicht zu. Sie hat, wie
sie erklärt, den Begriff „Finanzgesetz“, welcher bisher eine genaue
und bindende Erklärung nirgends gefunden hat, nicht in dem
Sinne aufgefaßt, daß damit alle Gesetze gemeint seien, welche in
ihrer möglichen Wirkung eine Mehrbelastung der Staatskasse
oder der Staatsbürger mit sich bringen. Wenn dieser Begriff
wirklich so zu deuten wäre, dann würden fast alle Gesetze von
einiger Wichtigkeit, z. B. Organisationsgesetze, da sie alle von
einem gewissen Einfluß auf die Staatsfinanzen sind, „Finanz=
gesetze“ sein. Wäre diese Auffassung richtig, dann hätten viele
Gesetze, wie das über das Grundbuchwesen und das über die
Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, niemals zuerst dem
Herrenhause vorgelegt werden können. Und doch ist dies ge=
schehen, ohne von irgend einer Seite Beanstandung zu erfahren.
Also der Brauch spricht nicht dafür, daß in der möglichen
Wirkung einer Mehrbelastung des Staats das Wesen eines
„Finanzgesetzes“ zu suchen ist. Aber wenn man auch entgegen
dem Brauch den Begriff so weit, wie angedeutet, ausdehnen
wollte, würde man eine Einschränkung der Gleichberechtigung
der gesetzgeberischen Faktoren herbeiführen, wie sie jedenfalls
nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag. Es würden für die
Vorlegung an das Herrenhaus dann nur die unbedeutendsten
Vorlagen übrig bleiben, was der Stellung dieses Hauses in
keiner Weise entspricht.
Aber jener Auffassung von dem Begriffe „Finanzgesetz“