Full text: Bismarcks Staatsrecht.

der gesetzlichen und durch die Verfassung gezogenen Schranken 
hält, daß also z. B. in Preußen keine Gnade zu Gunsten eines 
auf Antrag der Kammer wegen Amtshandlungen verurteilten 
Ministers ohne Zustimmung der Kammer ausgeübt wird und 
daß der König nicht ohne besonderes Gesetz eine bereits einge= 
leitete Untersuchung niederschlägt. Die Gründe jedoch, welche 
den Monarchen im Einzelfall zur Ausübung der Gnade bestimmt 
haben, sind der parlamentarischen Kontrolle und Erörterung ent= 
zogen. Berner, der Altmeister der lebenden Strafrechtslehrer, 
sagt sehr zutreffend: „Die parlamentarische Erörterung eines 
Gnadenaktes würde demselben seine Weihe und seinen Charakter 
rauben. Sie würde den Zweck einer politischen Amnestie sogar 
völlig vereiteln, weil sie die politischen Verbrechen, welche die 
Amnestie mit einem undurchdringlichen Schleier bedecken soll, an 
das hellste Licht hervorziehen und die zu besänftigenden Partei= 
leidenschaften wieder anschüren würde.“ 
In der liberalen Presse fand diese Darlegung heftigen 
Widerspruch, der von nationalliberalen und freikonservativen 
Blättern unterstützt wurde. ¹²⁰) Es wurde erwidert: 
„Wenn neuerdings die Ausübung des Begnadigungsrechtes 
kritisiert worden ist, so hat es sich dabei gar nicht um die staats= 
rechtliche, sondern um die moralische oder allgemeine politische 
Verantwortlichkeit des Ministers gehandelt. Daß die Begnadi= 
gung ein Akt völlig freier Willensentschließung des Souveräns 
sei, ist doch nur eine Fiktion, wie es meist bei Regierungsakten 
des alltäglichen Lebens der Fall ist. Das Begnadigungsgesuch 
läuft im Kabinett des Monarchen ein und wird von dort an den 
Justizminister zur Prüfung und Berichterstattung überwiesen, 
ohne daß der Monarch in der Regel auch nur etwas erfährt von 
dem Einlaufen des Gesuchs. Der Minister gibt es wieder weiter 
zur Berichterstattung, und wenn es seinen bureaukratischen Gang 
gemacht hat, dann empfiehlt der Minister dem Monarchen An= 
¹²⁰) „Kölnische Zeitung“, „Die Post“, „National=Zeitung“, „Berliner Neueste 
Nachrichten“, „Münchener Allgemeine Zeitung“.
	        
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