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lassung hätte, bei Begnadigungsvorschlägen, die sich auf Urteile
gegen solche Ausführungen beziehen, die äußerste Vorsicht walten
zu lassen. Auch das Gericht, das über einen Beamten eine
schwere Strafe verhängt hat, dürfte sich kaum besonders ange=
nehm berührt fühlen, wenn dieselbe dem Verurteilten so gut wie
gänzlich erlassen wird.“
Fürst Bismarck nahm in den „Hamburger Nachrichten“ zur
Sache das Wort, indem er das Recht des preußischen Abgeord=
netenhauses, Königliche Gnadenerlasse zu kritisieren, trotz der not=
wendigen ministeriellen Kontrasignatur der Gnadenakte, für
zweifelhaft erklärte ¹²¹). Mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität
und dem ihm innewohnenden tiefen monarchischen Empfinden
bekennt er sich als Verteidiger des „schönsten Rechts der
Krone.“
„In der Presse ist ein Streit über das Recht der Volksver=
tretung entbrannt, Königliche Gnadenakte zum Gegenstand par=
lamentarischer Kritik zu machen. Die „Nordd. Allgem. Ztg.“
hatte dies Recht grundsätzlich bestritten, weil das Begnadigungs=
recht ein unantastbares Privilegium der Königlichen Souveränität
sei, daß jeder Bemängelung entzogen wäre. Der Monarch sei
niemandem darüber Rechenschaft schuldig, welchen Gebrauch er
von diesem Rechte mache. Das habe er allein vor seinem Ge=
wissen zu verantworten. Folglich sei er der parlamentarischen
Kontrolle nicht unterworfen. Von liberaler Seite ist dagegen
eingewendet worden, alle Regierungshandlungen der Krone er=
langten ihre Gültigkeit und Wirksamkeit nur durch die Gegen=
zeichnung des Ministers; daraus folge notwendig, daß dieser die
volle Verantwortlichkeit dafür zu tragen habe. Die Begnadi=
gungsfragen würden im Justizministerium bearbeitet wie andere
Justizangelegenheiten, und es sei hinreichend bekannt, daß in Be=
gnadigungsfragen schon oft genug Minister in der Lage gewesen
wären, ihre von des Herrschers abweichende Auffassung diesem
gegenüber zu vertreten.
¹²¹) efr. „Hamburger Nachrichten“ von Anfang Oktober 1896.