Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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Letzteres ist richtig, aber trotzdem halten wir den 
Auspruch, daß das preußische Abgeordnetenhaus das 
Rechthabe, Königliche Gnadenerlasse einer verfassungs= 
mäßigen Kritik zu unterziehen und sich dabei auf die 
ministerielle Kontrasignatur zu stützen, doch für zweifel= 
haft. 
Daß dem Begnadigungsrecht die Eigenschaft eines Souveräni= 
tätsrechts innewohnt, ist unbestreitbar. Es lassen sich mithin keine 
Regeln aufstellen, welche den Souverän in dieser Beziehung ver= 
pflichten könnten, zumal sich die Umstände, welche dabei in Frage 
kommen, überhaupt einer genügenden allgemeinen Formulierung 
entziehen. Das Begnadigungsrecht ist das persönlichste aller 
Majestätsrechte. So nennt es Montesquieu, und Kant erklärt es 
für das eigentliche Recht, welches eigentlich den Namen eines 
Majestätsrechtes verdient. Unserer Ansicht nach kann rechtlich 
für die Ausübung dieses „schönsten Rechtes der Krone“ eine Ver= 
antwortlichkeit der Minister im eigentlichen Sinne nicht gefordert 
werden. Dem steht nicht entgegen, daß nach Art. 44 der preußi= 
schen Verfassung auch hierbei die Gegenzeichnung des königlichen 
Erlasses durch einen Minister zu erfolgen hat; denn in diesem 
Falle hat die Kontrasignatur — darin stimmen wir der „Nordd. 
Allg. Ztg.“ und Rönne, auf den sich das Blatt u. a. beruft, 
vollkommen bei — nur den Zweck, die Gewißheit des Königlichen 
Willens und die Königliche Unterschrift zu bezeugen. Auch hat 
die Verfassungsurkunde die Ausübung des Gnadenrechts, abge= 
sehen von den Einschränkungen des Art. 49, nicht an Bedin= 
gungen geknüpft, woraus folgt, daß der König dieselbe durchaus 
nach seinem freien Ermessen auszuüben berechtigt, und nicht ver= 
pflichtet ist, seine Gründe für die Ausübung anzugeben. Man 
kann einen Minister, der die Kontrasignatur eines Königlichen 
Gnadenerlasses übernommen hat, nur dafür verantwortlich machen, 
das der Begnadigungsakt sich innerhalb der gesetzlichen und durch 
die Verfassung gezogenen Schranken hält, also z. B. daß in 
Preußen keine Gnade zu Gunsten eines auf Antrag der Kammer 
wegen Amtsverhandlungen verurteilten Ministers ohne Zu=
	        
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