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anschließen zu dürfen, vielmehr dem Deutschen Reiche die Mög=
lichkeit offen halten zu müssen, für den päpstlichen Stuhl ein=
zutreten.
Dieser Anspruch wurde jedoch von allen politischen Parteien
im Reichstag gleichmäßig abgelehnt und nur als ein dringender
Anlaß aufgefaßt, den Grundsatz der Nichteinmischung in das po=
litische Leben anderer Völker noch bestimmter und schärfer, als
es in der Thronrede geschehen war, geltend zu machen. Die
katholische Partei war aber auch in den Reichstag mit Bestre=
bungen eingetreten, welche mit der früheren Stellung ihrer Ge=
sinnungsgenossen zur deutschen Einigungspolitik im Widerspruch
stand. Während dieselben bisher den Föderalismus, d. h. eine
möglichst selbständige Stellung der einzelnen Staaten im Bund
gegenüber den Einheitsbestrebungen unterstützten, und namentlich
ein Übergreifen der Bundesgesetzgebung auf die Gebiete des
religiösen Bewußtseins zurückwiesen, traten sie jetzt mit Anträgen
und Wünschen hervor, welche die Reichspolitik unmittelbar in die
religiösen und konfessionellen Kämpfe hineinzuziehen geeignet
waren. Ihr Antrag vom 31. März wollte die unumschränkte
Freiheit der römisch=katholischen Kirche, ihrer Orden, ihrer Presse,
ihrer politischen Agitation im Deutschen Reiche als ein Grund=
recht in die neue Verfassung ausgenommen wissen. Die Gegner
sahen in diesem Antrage einen Versuch, auf einem Seitenwege
der katholischen Kirche eine selbständige Stellung dem Staate
gegenüber zu schaffen. Es entspannen sich um diesen Antrag
leidenschaftliche Debatten. Die beiden Gegensätze, innerhalb deren
die ganze Nation sich bewegte, kamen zu einem noch schärferen
Ausdruck als bei der Adreßdebatte.
Wie eine Anzahl diplomatischer Schriftstücke aus dem Früh=
jahr 1871 ergibt, die erst 15 Jahre später in Berlin veröffent=
licht wurden, versuchte Fürst Bismarck, durch den damaligen
Geschäftsträger beim Vatikan, Grafen Tauffkirchen, eine Miß=
billigung der Mobilmachung des Zentrums gegen die Reichs=
regierung seitens der Kurie zu erlangen. Kardinal Antonelli
ging zuerst darauf ein, verhielt sich aber später infolge von Ein=
Bismarcks Staatsrecht. 26