Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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lich große Aktion hervor. Sämtliche preußische Bischöfe legten 
beim Kaiser feierlichen Protest ein gegen Vergewaltigung der 
katholischen Kirche und gegen Verletzung der Gewissensfreiheit, 
welche doch in Preußen durch Gesetz zugesichert und durch ge= 
schichtliches Herkommen verbürgt sei. Die Antwort des Kaisers 
übergab die Beschwerde zur Entscheidung an die zuständige Be= 
hörde. Die Regierung hielt jedoch ihren früheren Bescheid auf= 
recht. Jetzt rief die katholische Partei den Beistand des Ab= 
geordnetenhauses an. Sie forderte dasselbe auf, die Erwartung 
auszusprechen, daß die Regierung die abweisende Verfügung des 
Kultusministers aufheben und die katholischen Schüler des Gym= 
nasiums zu Braunsberg von dem Zwange entbinden werde, 
dem Religionsunterricht „eines aus dem Kirchenverband aus= 
geschlossenen Religionslehrers“ beizuwohnen. 
Dieser Schritt hatte Erfolg. Der erste in dem Konflikt 
zwischen Staat und Kirche getane Schritt wurde wieder aufge= 
hoben. Fürst Bismarck erkannte zuerst die Härte der lediglich 
juristischen Logik des Herrn v. Mühler, und dessen Nachfolger 
inaugurierte seine Amtstätigkeit, die einen der heftigsten und 
langwierigsten Kämpfe zwischen geistlicher und weltlicher Macht 
umfaßte, mit einem Rückschritt des Staates. Die Maßregel des 
Herrn v. Mühler in betreff des Religionsunterrichtes wurde 
zurückgenommen durch einen Erlaß seines Nachfolgers ¹⁵¹), welcher 
gestattete, daß diejenigen Schüler höherer Unterrichtsanstalten, 
welche einen ihrer Konfession entsprechenden Religionsunterricht 
nachwiesen, auf Antrag ihrer Eltern oder Vormünder von der 
Teilnahme am Religionsunterrichte der Schule entbunden werden 
konnten. 
Fürst Bismarck hat, wie seine Reden aus dem Jahre 1872 
zeigen, zu dieser Zeit keinen kirchenpolitischen Kampf gewollt. 
Die Aufhebung der katholischen Abteilung im Kultusministerium 
und der Erlaß des Schulaufsichtsgesetzes erfolgte mehr im deutsch= 
nationalen, wie kirchlichen Interesse. Später ist der Reichskanzler 
¹⁵¹) vom 20. Februar 1872. 
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