405
nung wieder her. Gleichviel, es entstand der modus vivendi,
unter dem wir eine Anzahl Jahre in einem friedlichen Ver=
hältnis gelebt haben. Allerdings war dieser Friede doch nur
durch eine ununterbrochene Nachgiebigkeit des Staates erkauft,
indem er seine Rechte bezüglich der katholischen Kirche ganz
rückhaltlos in die Hände einer Behörde gelegt hatte, die zwar
ursprünglich eine Behörde sein sollte zur Wahrnehmung der
Königlich Preußischen Rechte gegenüber der katholischen Kirche, die
aber schließlich faktisch eine Behörde geworden ist im Dienste des
Papstes zur Wahrnehmung der Rechte der Kirche gegenüber
dem preußischen Staat. Ich meine die katholische Abteilung
im Kultusministerium. Wer die Dinge etwas näher gekannt
hat, der hat schon sicher gleich mir sich der Besorgnis hin=
gegeben, daß dieser Friede nicht von Dauer sein würde. Indessen,
bei meiner Abneigung gegen jeden innern Kampf und gegen
jeden Kampf der Art, habe ich doch diesen Frieden mit allen
seinen Nachteilen dem Kampfe vorgezogen und habe mich meiner=
seits dem Kampfe versagt, während ich von andern Seiten schon
vielfach dazu gedrängt wurde . . . .“
Auch der Kultusminister von Mühler forderte die Auf=
hebung der Abteilung; aus einem andern Grunde aber als Bis=
marck. Er berichtete an den König: „Da es mir zur Gewißheit
geworden ist, daß die bei ihrer Kirche verbleibenden katholischen
Geistlichen und Laien sich der Unterwerfung unter das Unfehl=
barkeitsdogma nicht entziehen können und da hiermit die Stellung
der Abteilung zu dem, jede direkte oder indirekte Anerkennung
des Dogmas sorgfältig vermeidenden Standpunkt der Staats=
regierung auf die Dauer unhaltbar werden muß, schlage ich
meinerseits die Auflösung derselben vor und die Herstellung einer
gemeinsamen Abteilung für beide Konfessionen.“
Gegen die Vorwürfe, die Fürst Bismarck der katholischen
Abteilung machte, veröffentlichte Herr v. Mühler nach seinem
Rücktritt ¹⁵²) ein besonderes Aktenstück.
¹⁵²) Derselbe erfolgte am 17. Januar 1872.