Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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dem preußischen Staatsministerium, welche der Autorität beider 
zum Schaden gereicht; man verfällt in die Fiktion, daß es sich 
hier um zwei unabhängig neben einander stehende höchste Be= 
hörden handle. Diese Fiktion können wir nicht oft genug für 
verfassungswidrig und für objektiv reichsfeindlich erklären. Sie 
ist geeignet, die Festigkeit der Reichsinstitutionen zu lockern. Wir 
können eine Zeit erleben, wo die Notwendigkeit ihres unge= 
schwächten Fortbestandes noch dringender einleuchtet, als heute. 
Die Anerkennung des Königs von Preußen als höchsten Chef 
beider obersten Behörden, der in seiner präsidialen Reichsstellung 
den Kaisertitel führt, darf doch nicht im Sinne einer Personal= 
Union erfolgen, etwa wie sie zwischen Schweden und Norwegen 
besteht, wo der Monarch von einem gesonderten schwedischen und 
von einem gesonderten norwegischen Ministerium beraten wird, 
und wo also eine Zweiseelentheorie in der Person des Monarchen 
gewissermaßen eine verfassungsmäßige Institution bildet. Das 
schwedische und das norwegische Staatsleben berühren sich weder 
vielfach, noch notwendig, und die Gesetzgebung beider Länder be= 
rührt sich garnicht. Schwedische Gesetze haben in Norwegen 
und norwegische in Schweden keine Geltung. In Deutschland 
aber durchsetzen sich die preußischen und die Reichsverhältnisse 
in allen Einzelheiten, in dem Teile der Verwaltung, wie der Ge= 
setzgebung; sie können daher, wenn keine Friktionen zwischen ihnen 
entstehen sollen, absolut nur einheitlich geleitet werden. 
Verfassungsmäßig ist der Reichskanzler oberster Chef der 
Reichsverwaltung und aller Ämter derselben; in der Gesetzgebung 
aber hat er garnichts zu sagen, soweit er nicht als Bevoll= 
mächtigter der preußischen Staatsregierung spricht. Wenn er 
diese Vollmacht nicht besitzt, sondern nur den Reichskanzlerposten 
hat, dann steht ihm nichts als der formale Vorsitz und die Ge= 
schäftsleitung im Bundesrate zu. In Fragen der Gesetzgebung 
hat er zu schweigen. Der Mund auf diesem Gebiete wird ihm 
erst geöffnet, wenn er als Bevollmächtigter des preußischen 
Staatsministeriums spricht. In dieser Eigenschaft aber ist er 
nicht berechtigt, eine andere Meinung, als die des preußischen
	        
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