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dem Reichskanzler, ausdrücklich aussprechen. Aber für jeden, der
an der Wiege der deutschen Verfassung gestanden hat, hat es
doch immer noch etwas Auffälliges und Beunruhigendes, wenn
diese selbstverständliche volle und absolute Übereinstimmung
zwischen der Majorität des preußischen Staatsministeriums und
dem preußischen Minister für die auswärtigen, d. h. die deutschen
Angelegenheiten, der nebenbei Reichskanzler ist, ausdrücklich hervor=
gehoben und konstatiert werden muß, anstatt a priori unbedingt
und jederzeit als vorhanden aufgefaßt zu werden, wie es der
Reichsverfassung und unseren staatsrechtlichen Einrichtungen ent=
spricht.
In einer anderen publizistischen Erörterung Bismarcks über
dasselbe Thema heißt es:
„Wir knüpfen an die nächste parlamentarische Zukunft
keinerlei wirtschaftliche Hoffnungen; nur auf dem Gebiete der
inneren Politik die, daß die leitenden Herren des neuen Kurses
sich allmählich mit der bestehenden Reichsverfassung hinreichend
vertraut machen werden. Die einfache Tatsache, daß der Reichs=
kanzler ohne vorgängige Ermächtigung durch das preußische
Staatsministerium in der Lage gewesen ist, die Biersteuer vor
legislativer Inbetrachtnahme nach seinem persönlichen Ermessen
auszuschließen, ist allein genügend, um die Irrungen zu kenn=
zeichnen, die auf dem Gebiete der Verfassung Zugang zur Praxis
gewonnen haben. Sollten unsere verfassungsmäßigen Einrich=
tungen sich konsolidieren, so ist dazu die erste Vorbedingung, daß
sie denen, die sie handhaben, bekannt sind.
Wir haben mit Genugtuung davon gehört, daß Königlich
Sächsische Schulen die Kenntnis der Reichsverfassung in den
Schulunterricht der obersten Gymnasialklassen aufgenommen
haben. Es wäre dringend zu wünschen, daß dies in anderen
Staaten Nachahmung fände, damit es nicht mehr vorkommt,
daß unsere verfassungsmäßige Zukunft durch Legenden und Ver=
schiebungen beeinträchtigt wird, wie sie in den Worten „Reichs=
regierung“, „Kanzlerpolitik“, ja selbst in der Redensart „Kaiser
und Reich“ liegen. Der Kaiser, das Präsidium der verbündeten