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Reichsverfassung ist es nun aber sehr viel leichter, wenn ich
zu einem Punkte komme, wo es mir zweifelhaft wird, ob ich
für die Tätigkeit des hoch und ministermäßig gestellten Be=
amten, für den ich die Verantwortung mit zu tragen habe, diese
Verantwortung ferner übernehmen will, so kann ich im Reiche
Rechenschaft und Aufklärung über die Sache fordern, ich kann
Bericht erfordern und kann wenigstens mein Veto (entscheidenden
Widerspruch) sofort einlegen; kurz, ich bin berechtigt, im äußersten
Falle zu verfügen, was man so unabhängigen Charakteren
gegenüber, oder dem Maße von Unabhängigkeit des Charakters
gegenüber, welches mit großer Tüchtigkeit verbunden zu sein pflegt,
sehr schwer und selten tut. Ich halte mich im ganzen immer
nur verantwortlich für die im großen Durchschnitt richtige Wahl
der Personen, nicht für jede einzelne Handlung der Personen.
Außerdem, wenn ich diese Verantwortung gefährdet fühle, bin
ich in der Lage, bestimmt zu sagen: Dies will ich nicht, und be=
stimmte Forderungen zu stellen, was einstweilen zu geschehen hat.
Ganz anders und viel mühevoller ist die Aufgabe eines
preußischen Ministerpräsidenten, der einen hohen Ehrenposten,
eine große Verantwortung hat und sehr wenig Mittel, dieser
Stellung seinen Kollegen gegenüber irgend welchen Nachdruck zu
geben, und wenn gegen seine Einflüsse sich innerhalb einer be=
stimmten Verwaltung ein passiver Widerstand entwickelt, den die
einzelnen Beamten dieses Ministeriums unterstützen, so habe ich
darüber die Erfahrung, daß man gewissermaßen im Sande er=
müdet und seine Ohnmacht erkennt.
Wenn ich mir also die Wahl stellen mußte, meinen Geschäfts=
kreis zu verkleinern, so konnte ich darüber nach einer zehnjährigen
Erfahrung nicht zweifelhaft sein, daß die Stellung des preußischen
Ministerpräsidenten diejenige war, die meine Arbeitskraft — sagen
wir Nerven zum Arbeiten, denn zum Arbeiten gehören Nerven —
am meisten in Anspruch nahm. Es ist ja im ganzen nicht die
Arbeit, die den Menschen körperlich in der Friktion, in der wir
in parlamentarischen Staaten leben, aufreibt, sondern es ist das
ununterbrochene Gefühl der Verantwortlichkeit für große Dinge