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deutscher Nation ins Amt berufen werden könne, erwiderte
Fürst Bismarck:
„Der Herr Vorredner hat vor seinem in die Zukunft
blickenden Auge sich das Gespenst eines den preußischen Staat
vergewaltigenden, aber nicht preußischen Reichskanzlers aus
anderen Staaten deutscher Nation gedacht. Ich glaube, dies ist
eben ein Gespenst. Die Frage, wie die Machtstellung zwischen
dem Reiche und den einzelnen Staaten sein soll, ist eine, die
durch die Reichsverfassung festgestellt ist und durch die weitere
gesetzgebende Tätigkeit des Reiches, die Kompetenzerweiterungen,
zu denen das Reich ermächtigt ist, mit der Zeit ihre Erledigung
finden wird und kann, und sollte dabei die Befürchtung eintreten,
daß die Reichsregierung so mächtig wird, daß ein so starker
Staat wie Preußen, fünf Achtel des ganzen Reichs, anfängt,
sich vor dem überwiegenden Einfluß des Reiches zu fürchten?
Landsleute sind wir Deutsche doch alle, und ich bekämpfe in
diesen Dingen das Betonen der Scheidung zwischen deutsch und
preußisch; der Reichskanzler, möge er nun ein Preuße oder ein
Bayer sein, uns steht er nicht als Preuße oder Bayer, uns steht
er nur als Deutscher gegenüber, und das deutsche in dem Kanzler
mehr und mehr zu betonen, dazu erachte ich eine gewisse Los=
lösung, eine Herausschälung des Kanzlers aus der ganzen
Vegetation nötig, die sich im preußischen amtlichen Leben not=
wendig bei ihm angesetzt haben muß. Ich glaube, daß dieser
Gedanke noch weiter verfolgt werden muß, wenn wir zu einer
richtigen Reichseinheit kommen wollen. Die Einheit der Interessen
Preußens und des Reiches, und der Schutz für die preußische
Verfassung, liegt in der Einheit Sr. Majestät des Kaisers und
des Königs; daß beide Organismen bisher auch einen gemein=
samen Ministerpräsidenten gefunden haben, das war der Anfang,
kann aber für die Dauer nicht festgehalten werden.
Ein Reichskanzler und ein Ministerpräsident, dem die Sachen
durch die Neuheit der Zustände und durch das Entgegenkommen
mehrerer Parteien, wenn nicht aller, so sehr erleichtert werden,
wie mir, der so sehr den Vorteil hat des frischen Eindrucks der