Die Wehrpflicht. (8. 54.) 95
(die gemeinen Soldaten) teils durch Werbungen, teils durch Aushebungen vollzählig er-
halten wurden. Die Werbungen beruhten auf freiwilligen Eintrittserklärungen, gingen
hauptsächlich auf Ausländer!, und waren in ein förmlich organisiertes System gebracht.
Die Aushebungen fanden bei Inländern statt und beruhten seit Friedrich Wilhelm I. aufs
der Kantoneinrichtung. Einem jeden Regimente war der Regel nach ein gewisser Landes-
bezirk für beständig angewiesen, aus welchem es die erforderlichen Ersatzmannschaften zu
beziehen hatte. Zum Dienste waren die waffenfähigen Männer vom 16. bis zum 45. Jahre
verpflichtet; indes traten viele Ausnahmen davon ein, welche nicht bloß gewisse Klassen
von Personen, sondern auch Städte und Distrikte befreiten. Die Dienstzeit in den Re-
gimentern dauerte 20 Jahre. Von dem wirklichen Eintritte in den Militärdienst bis
zur gänzlichen Entlassung aus demselben fand eine förmliche Unterbrechung oder Sus-
pension der militärischen Verhältnisse nicht statt; die Beurlaubungen waren nur temporär
und die Beurlaubten behielten in der Regel alle Rechte und Pflichten der aktiven Sol-
daten. Der Militärstand bildete mit dem gesamten Zubehör ein streng abgeschlossenes
Ganze, welches von der Autorität der ordentlichen Lokalbehörden ansgenommen und in allen
rechtlichen Verhältnissen, welche nicht auf das Grundeigentum Bezug hatten, besonderen
Gerichten untergeordnet war. Diese Einrichtungen haben bis zu den Freiheitskriegen
fortbestanden. Das Allgem. Landrecht verweist in betreff der Verpflichtung zum Kriegs-
dienste noch auf die bestehenden Kantonreglements.? Infolge der unglücklichen Kriegs-
jahre von 1806 und 1807 haben sich dann diese Einrichtungen gänzlich geändert und
es hat die preußische Militärverfassung eine durchaus neue Organisation erhalten. An
die Stelle des Systems der besonderen Aushebung (Konskription) ist das System der
allgemeinen Wehrpflicht getreten, nach welchem grundsätzlich alle waffenfähigen
Staatsangehörigen eines bestimmten Alters den Militärdienst nach den ge-
setzlichen Bestimmungen zu leisten verpflichtet sind.“
Die Aufhebung der
Die erste streng wissenschaftliche Darstellung hat
Laband gegeben, (. St. R. d. R. (4), Bd. IV,
S. 1—332; der ausgezeichneten Labandschen
Darstellung muß allerdings in einem Hauptpunkte,
der Frage des Reichsheeres, widersprochen wer-
den, wie dies G. Meyer, Zorn und Brock-
haus getan haben, denen weiterhin die Mehrzahl
der Schriftsteller, teilweise mit neuen Argumenten,
solgte, s. die Literatur bei Laband, Bd. IV,
S. 1, ferner S. 125; Hoffmann, Die Militär-
hoheit u. d. d. Landheer in geschichtl. Entw., 1900
(Göttinger Diss.); und Gau, Die Kontingents-
herrlichkeit nach deutschem Reichsrecht, 1904, der
alle Versuche, den Begriff der Kontingentsherrlich-
keit als einheitlichen Begriff zu konstruieren, als
gescheitert ansieht. Dagegen gibt die von La-
band zuerst durchgeführte Gliederung der per-
sönlichen Heerespflicht in: Wehrpflicht, Militär-
pflicht und Dienstpflicht den einzig richtigen syste-
matischen Rahmen der wissenschaftlichen Erfassung
des Militärdienstes. Dazu kommt als weiteres
hohes Verdienst Labands die sorgfältige Dar-
stellung des gesamten weitverzweigten Materiales
des allmählich überaus kompliziert gewordenen
preußtisch-deutschen Heeresorganiomus.
1 Bis zum Jahre 1733 fand auch die Wer-
bung im Auslande statt. Erst durch das Kan-
tonregl. v. 15. Sept. 1733 wurde die Werbung
als Regel aufgehoben. Uber die Militär-Reformen
Friedrich Wilhelm J. s. bes. M. Lehmann in der
Histor. Zischr., Bd. 67, S. 254 ff.; Schmoller
in Deutsche Rundschau 1877, H. 11, S. 260 ff.
* Uber das ältere Heerwesen in Preußen val.
Hase, Handbuch zur Kenntnis des preuß. Polizei-
und Kameralwesens, Bd. 1, S. 69 ff., und Bo-
rowski, Preuß. Kameral= u. Fin.-Praxis, S.
641 ff. — Die allmähliche Notwendigkeit der
Vergrößerung des Kriegsheeres, und die Unregel-
mäßigkeiten und Bedrückungen, welche bei den
Werbungen vorfielen, erforderten andere Ein-
richtungen, und deshalb verteilte König Friedrich
Wilhelm I. im Jahre 1733 alle im Lande vor-
handenen Feuerstellen in Werbungs- und Re-
krutierungsdistrikte unter die Regimenter (Kan-
tonseinteilung). Dies geschah durch die Kab.
O. v. 1. u. 18. Mai 1733 und das infolge
derselben erlassene Kantonregl. v. 15. Sept. 1733.
Demnächst erging das Regl., nach welchem in den
königl. Staaten, mit Ausschluß Schlesiens, bei
Ergänzung der Regimenter mit Inländern ver-
fahren werden soll, d. d. Berlin, den 12. Febr.
1792 (Mylius, N. C. C., Tom. IX, p. 777 ff.;
Rabe, Samml., Bd. II, S. 237 ff.).
5 Vgl. A. L. R., Teil II, Tit. 10, 88. 64 u. 10.
4 Vgl. A. L. R., Teil II, Tit. 10, §. 16 u. A.
G. O., Teil I, Tit. 2, S§§. 48—52.
5 Der §. 52 A. L. R., Teil II, Tit. 10 bestimmt:
„Welche Klassen der Einwohner des Staates zu
den Kantonisten gehören, und was in diesen
Klassen für Entschuldigungsursachen von wirk-
lichen Kriegediensten stattfinden, ist in den Kan-
tonreglements verordnet".
* Hinsichtlich der Erfüllung der Militär-
dienstpflicht besteht bei diesem Systeme der allge-
meinen Wehrpflicht doch der Unterschied, daß der
Staat entweder nur einen durch das Los aus-
geschiedenen Leil der Dienstpflichtigen dazu be-
rust und dabei auch die Leistung des Dienstes
durch einen Stellvertreter gestattet (Konskrip-
tionssystem,, — oder es müssen wirklich alle