198 Das Staatsbürgerrecht.
(§. ö7.)
e) Die Bestimmungen des bürgerlichen Eherechtes werden durch das Gesetz v. 4. Mai
1868 nicht berührt (§. 5 a. a. O.). 1
In Bayern gilt auch dieses Gesetz nicht und es gelten hier die durch die Landes-
gesetzgebung angeordneten Vorschriften über das von der Heimatgemeinde zu erwirkende
Verehelichungszengnis fort.
VIII. Mit dem durch den Art. 3 der Reichsverfassung gewährleisteten gemeinsamen
Indigenate und insbesondere mit dem Grundsatze des §. 1 des Freizügigkeitsgesetzes v.
1. Nov. 1867, daß der Reichsangehörige in der Austbung der ihm dadurch gewährten
Befugnisse „durch lästige Bedingungen nicht beschränkt werden darf“, war es unvereinbar,
daß Reichsangehörige, welche in einem anderen Staate des Bundes ihren Aufenthalt
nehmen oder sich niederlassen, als dem, in welchem sie staatsangehörig sind, zu den
direkten Staatssteuern beider Staaten gleich den Angehörigen des eigenen Staates heran-
gezogen, also der doppelten Besteuerung unterworfen werden. Dieser Mißstand kam
schen bei der Beratung des Freizügigkeitsgesetzes v. 1. Nov. 1867 zur Sprache 2, und
auf den Antrag der Kommission des Reichstages zur Beratung dieses Gesetzes erkannte
der Reichstag nicht nur die Kompetenz des Reiches zur Regelung des Gegenstandes an,
sondern beschloß auch, dem Reichskanzler zur Erwägung anheimzustellen, wie der übel-
stand der doppelten Personalbesteuerung solcher Bundesangehöriger zu beseitigen sei,
welche in einem anderen Bundesstaate wohnen, als dem, in welchem sie staatsangehörig
sind. 3 Da dieser Beschluß des Reichstags nicht alsbald Erfolg hatte, beschloß der
Reichstag aus Veranlassung verschiedener bei ihm angebrachter Beschwerden, das Ersuchen
an den Reichskanzler zu richten, dem in Rede stehenden Übelstande im Wege der Bundes-
gesetzgebung Abhilfe zu verschaffen. Zwischen der preußischen und der königlich säch-
sischen Staatsregierung war demnächst eine Übereinkunft v. 16. April 1869 wegen Be-
seitigung der doppelten Besteuerung der beiderseitigen Staatsangehörigen zustande gekommen,
in welcher den übrigen Staaten des Bundes der Beitritt offen gehalten war. Der
Reichstag, welchem von dieser Übereinkunft mit dem Bemerken Kenntnis gegeben wurde,
daß Aussicht vorhanden sei, mit den übrigen Bundesstaaten eine Vereinbarung auf gleicher
verfassung aufgestellten Grundsatze des gemein-
samen Indigenates finde, wogegen die Frage, nach
welchen Geseten die zivilrechtlichen Vorauesetzungen
der Eheschließung in dem Falle zu beurteilen sind,
Gemeinde, des sogen. Verehelichungszengnisses,
was sich jedeoch nicht auf die Angehörigen der
Bayrischen Pfalz bezieht, weil für letztere nach
Lage der bayrischen Gesetzgebung volle Verehe-
lichungefreiheit besteht, daher die Angehörigen der-
selben zum Zwecke ihrer Verehelichung in Preußen
eines Erlaubniescheines ihrer Heimatebehörde nicht
bedürfen (vgl., Zirk. Reskr. v. 29. Aug. 1871, M. Bl.
d. i. Verw., S. 201. S. hierüber oben S. 195,
N. 4. Der 8. 2 des G. v. 13. März 1854 han
übrigens bestimmt, daß die Min. der geistl. usw.
Ang. und des Inn. ermächtigt sein sollen, sowohl
in einzelnen Fällen, als, mit Rücksicht auf die
Gesetgebung einzelner Staaten, für die Ange-
hörigen derselben überhaupt die Beibringung des
im §. 1 des Gesetzes gedachten Attestes zu erlassen.
uͤber dergleichen Dispensationen vgl. v. Sicherer,
Kommentar, S. 271: Hinschius, Kommentar,
S. 131. Durch Staatsvertrag sind zur Che-
schließung im Deutschen Reiche ohne Vorbehalt
zugelassen die Angehörigen folgender Staaten:
England, Vereinigte Staaten v. Nordamerifa,
Frankreich, Belgien, sterreich, Niederlande,
Schweden-Norwegen, Italien, Schweiz, . Wohlere
NKommentar zum Personenstandegesetz, S. 77 f.
1 Diese Bestimmung war in dem Entwurfe
des Gesetzes nicht enthalten, sondern ist vom
Reichstage hinzugefügt worden. Die Motive des
Geseventwurfes hatten übrigene schon bemerkr,
das die Bestimmung des jetzigen §. 4# ihre Recht-
fertigung in dem durch den Art. 3 der Reiche-
wenn Bundesangehörige in einem anderen als ihrem
Heimatestaate zur Che schreiten, durch das G. v.
4. Mai 1868 nicht berührt würde (vgl. die Motire
in den Stenogr. Ber. des Reichetages 1868, Bd. II,
Aktenst. Nr. 15, S. 71 zum . 4 des En#wurfes.
: Nämlich aus Veranlassung von Petitionen,
welche Beschwerde über die Doppelbesteuerung er-
hoben hatten.
3 Vgl. den Komm. Ber. v. 17. Okt. 1867 in
dem Stenogr. Ber. des Nordd. Reichstages 1867,
Bd. II, Aktenst. Nr. 109, S. 191, und die Ver-
handlung in der Sitzung v. 21. Okt. 1867,
a. a. O., Bd. I., S. 565—566.
“ Val. den Bericht der Petitionskommission des
Reichetages v. 28. Mai 1868 (Stenogr. Ber. des
Reichstages 1868, Bd. 11, Aktenst. Nr. 89,
S. 316—317) und den sn#ß in der Sitzung
v. 10. Juni 1868 (a. a. O., Bd. 1, S. 365).
* Agl. diese 6e (g. e. 2 v. 16. April 1869
in der G. S. 1870, S. 142 und das zu deren
Ansführung erlassene Zirk. Restr. des Finanz-
ministers v. 26. März 1870 (M. Bl. d. i. Verw.
S. 119 ff.), welches (nach Wiederaufhebung
der Ulereinkunft v. 16. April 1869) durch das
Zirk. Reskr. des Finanzministers v. 8. Okt. 1870,
Ziff. 8 ia. a. O., S. 287 wieder außer Kraft
gesetzt ist.