(§. 60.) 289
sehr viel weiter gehende Vorschriften zu gunsten des Einschreitens der Verwaltungs-
behörden.?
Offentliche Versammlungen, d. i. solche, zu denen nicht nur bestimmte Personen
Zutritt haben, unter freiem Himmel? bedürfen der vorgängigen schriftlichen Genehmigung
der Ortspolizeibehörde. Die Genehmigung ist von dem Unternehmer, Ordner oder Leiter,
derselben mindestens 48 Stunden vor der Zusammenkunft nachzusuchen, und darf nur
versagt werden, wenn aus Abhaltung der Versammlung Gefahr für die öffentliche Sicher-
heit und Ordnung — also nicht wegen bloßer Verkehrsstörung 3 — zu befürchten ist.“
Soll die Versammlung aber auf öffentlichen Plätzen, in Städten und Ortschaften, oder
auf öffentlichen Straßen stattfinden, so hat die Ortspolizeibehörde bei Erteilung der Er-
laubnis auch alle dem Verkehr schuldigen Rücksichten zu beachten. Im übrigen finden
auf solche Versammlungen die Bestimmungen der §§. 1, 4, 5, 6 und 7. Anwendung
(§. 9). Gewinnt die Polizeibehörde nach Erteilung der Genehmigung die Uberzeugung,
daß Gefahr für Sicherheit und Ordnung bestehe, so kann die Genehmigung zurückge-
Versammlungs- und Vereinsrecht.
nommen werden, selbst gegenüber einer bereits begonnenen Versammlung (S. 17).5
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10. Den im §. 9 erwähnten Versammlungen werden öffentliche Aufzüge in Städten
und Ortschaften oder auf öffentlichen Straßen? gleichgestellt.
Bei Einholung der Ge-
der „Schwere der Umstände"“ ist dem Revisions-
richter entzogen; s. Schwartz, S. 415 und die dort
zit. Judikatur; über das prozessuale Verfahren s.
ebendas. b) Das Ob. Trib. hat in bezug auf den
§. 16 folgende Grundsätze angenommen: 1. Der
Ausdruck „wiederholt“ im §. 16 bedeutet nicht nur
die wiederholte oder fortgesetzte Übertretung, also
ohne Rücksicht auf den Rückfall, sondern es
ist darunter der Rückfall, also die wiederholte
Bestrafung, zu verstehen (Erk. v. 17. Jan.
1855, Goltdammers Archiv, Bd. III, S. 255).
2. Die Schließung eines politischen Vereines
kann, bezw. muß ausgesprochen werden, sobald
ein Vorsteher desselben aus den §§. 8 und 16
bestraft wird; es bedarf dazu nicht der Einleitung
eines Verfahrens gegen den Verein selbst oder
seinen Vorstand (Erk. v. 26. Febr. 1873,
Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. XIV. S. 172,
Goltdammers Archiv, Bd. XXI, S. 310).
3. Die in einem Straferkenntnisse ausge-
sprochene „Schließung eines politischen Vereins“
kann nur von denjenigen Angeklagten durch ein
Rechtsmittel angefochten werden, welche jenem
Vereine angehört haben. Der Ausspruch einer
solchen „Schließung“ wird dadurch nicht ausge-
schlossen, daß der Verein sich inzwischen bereits
selbst aufgelöst hat (Erk. v. 19. Nov. 1873,
Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. XIV, S. 731,
Goltdammers Archiv, Bd. XXI, S. 665).
4. Für den Umfang des preußischen Gebietes
kann auch über solche politische Vereine die
Schließung verhängt werden, welche von einem
außerhalb des Preußischen Staates residierenden
Vorstande geleitet werden (Erk. v. 11. Nov.
1875, Entsch., Bd. LXXVI, S. 403, Oppenhoffs
Rechtsprechung, Bd. XVI, S. 719, Goltdammers
Archiv, Bd. XXIII, S. 628). 5. Das Fort-
bestehen eines geschlossenen politischen Vereines
und die weitere Beteiligung bei demselben kann
nicht allein in der Abhaltung von Versamm-
lungen und dem Inhalte der in denselben statt-
gehabten Erörterungen, sondern auch in anderer
Vereinstätigkeit zur Erscheinung kommen (Erk.
v. 25. Mai 1377, Oppenhoffs Rechtsprechung,
Bd. XVIII, S. 344). 6. Wenn die Fortsetzung
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatrrecht.
5. Aufl. II.
einer Vereinstätigkeit unter anderem auch in
dem Vertriebe einer Zeitschrift gefunden ist, so
kann in diesem Vertriebe allein die Beteiligung
an einer weiteren Fortsetzung eines geschlossenen
Vereines gefunden werden (Erk. v. 14. März
1879, Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. AX, S. 141).
7. Unter vorläufig geschlossenen Vereinen (§8§. 8
und 16) sind nur die von der Ortspolizeibehörde,
nicht aber die durch ein gerichtliches, aber noch
nicht rechtskräftiges Erkenntnis geschlossenen Ver-
eine zu verstehen (Erk. v. 12. Febr. 1879,
Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. XX, S. 82,
Goltdammers Archiv, Bd. XXVII, S. 242).
c) Die Beteiligung an einem geschlossenen
politischen Vereine ist auch an denjenigen, gegen
welche früher eine Verurteilung nicht ergangen
war, aus §§. 16 und 8 strafbar (Erk. des Ober-
appellationsgerichts zu Berlin v. 14. Dez. 1872,
Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. XIII, S. 663,
Goltdammers Archiv, Bd. XX, S. 601).
1 S. die Angaben bei G. Meyer-Anschütz,
St. R., 6. Aufl., S. 842, N. 13.
* Darunter sind alle öffentlichen Versammlungen
unter freiem Himmel, und nicht bloß solche zu
verstehen, welche die Erörterung oder Beratung
öffentlicher Angelegenheiten bezwecken (Erk. des
Ob. Trib. v. 3. Okt. 1862, Entsch., Bd. XILIX,
S. 19°, Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. III,
S. 48, J. M. Bl. 1862, S. 314). Etbenso
Entsch. des O. V. G., Bd. XX, S. 432. S.
die eingehenden Erörterungen der Kommentare
von Thilo, Delius, Lisco, Mascher zu S. 9
und darüber; Caspar, S. 19 ff., 84 ff.
3 Zutreffend Caspar, S. 86 gegen Delius.
4 Nämlich nach der Ansicht der Ortspolizei-
behörde. Der Strafrichter hat nicht zu prüfen,
ob die nachgesuchte Genehmigung aus einem ge-
nügenden Grunde versagt worden sei (Erk. des
Oberappellationsgerichts zu Berlin v. 3. Mai
1873, Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. XIV,
S. 339).
5 Caspar, S. 87.
6 Offentliche Aufzüge auf „Wasserstraßen“
unterliegen als solche nicht den Beschränkungen
der §§. 9 und 10 (Erk. des Ob. Trib. v.
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