20 Das Staatsbürgerrecht. (§. 51.)
8. 51.
Gesetzlich bevorzugte Staatsbürger.!
Zwar hatte der Art. 4 der Verfassungsurkunde allgemein ausgesprochen, daß alle
Preußen vor dem Gesetze gleich sind, und daß „Standesvorrechte“ nicht mehr statt-
finden, und aus diesem Wortlaute mußte rein logisch die Schlußfolgerung gezogen werden,
daß verfassungsmäßig von bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Bevorzugungen einzelner
Staatsbürger oder gewisser Klassen derselben nicht mehr die Rede sein könne, und namentlich
auch staatsgrundgesetzlich politische Vorrechte einzelner Stände fortan unstatthaft sein
sollten. Allein auch hier zeigt sich, daß die allgemeine Fassung des Art. 4 bedenklich,
ja geradezu irreführend ist. Es bestehen nämlich auf Grund der historischen Entwick-
lung auch heute noch Sonderrechte, welche Art. 4 nicht beseitigt hat und welche in der
geltenden Gesetzgebung einen mehr oder minder weitgehenden Ausdruck finden, nämlich
1. in betreff der Mitglieder des Königlichen Hauses; 2. in betreff des fürstlich
hohenzollernschen Hauses, von dem, nach dem Aussterben der fürstlich hohenzollern-
hechingenschen Linie, jetzt nur noch die fürstlich hohenzollern-sigmaringensche Linie be-
steht; 3. in betreff des vormalig hannöverschen Königshauses, des vormals kur-
hessischen und des vormals herzoglich nassauischen, sowie ferner des schleswig-
holsteinschen Hauses, endlich 4. in betreff der mittelbar gewordenen deutschen
Reichsfürsten und Grafen, deren Besitzungen der preußischen Monarchie einverleibt worden
sind, der sog. Standesherren.
I. Das Königliche Haus.=
1. Daß der König zum Königlichen Hause gehört, ist physisch und rechtlich selbst-
verständlich. Aber der König ist nicht Mitglied des Hauses, sondern dessen Ober-
haupt; daraus erklärt sich, daß einzelne Hausgesetze bei Aufzählung der Mitglieder des
landesherrlichen Hauses den Landesherrn selbst nicht aufführen. Als ältester volljähriger
Agnat nach Erstgeburt und Linealfolge ist der König König und Staatsoberhaupt; s. hier-
über Bd. I, S. 220.3 Kraft derselben tatsächlichen Voraussetzungen ist der König
Familienoberhaupt des gesamten landesherrlichen Hauses und hat als solches die persön-
liche Familiengewalt" nach Maßgabe der Hausgesetze.? Insoweit es sich aber um Rechte
des Hauses handelt, bedarf es eines Familienschlusses, an welchem, falls nicht aus-
drücklich anders bestimmt ist, sämtliche volljährige männliche Mitglieder des Hauses mit-
zuwirken haben.“
2. Die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Königlichen Hauses gründen sich im
wesentlichen auf die königlichen Hausgesetze', also auf das „Privatfürstenrecht““ 3s des
1 Vgl. H. Schulze, Preuß. St. R., Bd. Il, S. 34 ff.; Landesherrl. Haus, S. 13 ff. Daß
88. 121—125; S. Meyer, vehrbuch des d. St.
R., 5. Aufl., S. 749 ff. Schwartz, Verf.
Urk., S. 50 ½ ferner H. Schulze, Die Haus-
gesebe Ner regierenden nentschen Fürstenhäuser
(1862—1883)|; Heffter, Die Sonderrechte der
sounveränen und der mediatisierten, vormals reichs-
ständischen Häuser (1871); Rehm, Modernes
Fürstenrecht (1904); Anschütz in Holnendorff-
Kohlers Enzyklop., Bd. II, (1904), S. 535 u. Lit.
* Uber die juristische Persönlichkeit der hoch-
adeligen Häuser s. Gierke in Grünhnts Zeit-
schr. V. S. 557 ff.:; ders., Deutsch. Privatrecht I,
118 f.; Rehm, Fürstenrecht, S. 103 ff.
* Agl. auch Bornhak, Pr. St. R., I, S. 349;
Rehm, Fürstenrecht, S. 7 ff.
* Uber deren Wesen Rehm, Fürstenrecht,
diese Familiengewalt erst durch den modernen
Staat geschaffen sei und demnach die sie betreffen-
den Vorschriften der Hausgesetze, abweichend von
den übrigen, dem Staaterecht untergeordnet seien,
behauptet m. E. ohne Grund Rehm, Fürsten-
recht, S. 86 ff.
5 Die Einzelrechte bei Rehm, Fürstenrecht,
S. 86 f.
6 S. über diese sehr bestrittenen Fragen Bd. J,
135 und ferner Rehm, Fürstenrecht, S.
ös ff. u. die dort angef. Literatur.
*' H. Schulze, Hausgesetze der deutschen regie-
renden Fürstenhäuser: im Bd. III ist Preußen ein-
gehend behandelt. Vgl. dazu Bd. 1, S. 134 ff.
élAUlber das „unklare Gemisch von staats-
u. privatrechtlichen Sätzen, welche das Privat-