Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Versammlungs· und Vereinsrecht. (8. 60.) 291 
als auf der Verfassung beruhend, gilt aber auch für solche. 1 Auch im übrigen ist die 
Polizei befugt, derartigen Aufzügen gegenüber alle aus ihrer allgemeinen 
Amtspflicht sich ergebenden besonderen Anordnungen zu treffen. 
11. Innerhalb zweier Meilen von dem Orte der jedesmaligen Residenz des Königs, 
oder von dem Orte des Sitzes beider Kammern dürfen Bolksversammlungen, d. i. solche 
Versammlungen, deren Außerungen als Volkswille erscheinen sollen s, unter freiem Himmel 
von der Ortspolizeibehörde nicht gestattet werden. Das letztere Verbot besteht nur für 
die Dauer der Sitzungsperiode beider Kammern, also einschließlich der Zeit der Ver- 
tagung (§F. 11). 
Die Übertretungen der Vorschriften der §§. 9, 10 und 11 werden nach 8. 17 
a. a. O. bestraft.“ 
12. Auf die durch das Gesetz und die gesetzlichen Autoritäten angeordneten Ver- 
sammlungen und die Bersammlungen der Mitglieder beider Kammern sowie des deutschen 
Reichstages während der Dauer der Sitzungsperiode, einschließlich also der Zeit etwaiger 
Vertagung, findet die Verordnung v. 11. März 1850 keine Anwendung (8. 21).5 
13. Der §. 20 der Verordnung enthält die Bestimmung, daß die in ihr mit Strafe 
bedrohten Handlungen, ungeachtet der Zuständigkeit der Schwurgerichte in Ansehung der 
in Bersammlungen begangenen politischen Verbrechen, von der Kompetenz der Schwur- 
gerichte ausgeschlossen sind. Diese Bestimmung findet indes ihre Erledigung dadurch, daß 
durch das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz v. 27. Jan. 1877 die Schwurgerichte für alle 
Verbrechen, welche nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern oder des Reichsgerichtes ge- 
hören, für zuständig erklärt sind. Zu bemerken bleibt übrigens, daß zufolge der Bestimmung 
des §. 6, Abs. 2, Ziff. 2 des Einführungsgesetzes v. 1. Febr. 1877 zur Reichsstrafprozeß- 
  
„Erk. des Ob. Trib. v. 1. Juni 1878, M. Bl. 
d. i. Verw. 1878, S. 231, Oppenhoffs Recht- 
sprechung, Bd. XIX, S. 298, Goltdammers 
Archiv, Bd. XXVI, S. 579). Diese Ansicht des 
Ob. Trib. unterliegt jedoch Bedenken und ist von 
der späteren Rechtsprechung nicht festgehalten; ein 
Herkommen kann sich auch neu bilden; vgl. 
Schwarts, Verf. Urk., S. 408. 
1 Caspar, S. 95 (gegen das Ob. Trib.); 
„Ehrendegen“ aber sind keine „Waffen“ im 
Sinne des Gesetzes; s. oben 286, Note 5. Für die 
Kriegervereine gilt hinsichtlich der Waffen das 
oben angegebene Spezialrecht; s. dazu auch 
Schwarstz,, Verf. Urk., S. 396. 
* Min. Reskr. v. 26. Aug. 1874, Verordnungs- 
blatt des Min. d. Inn., S. 201. Vgl. auch 
Arndt in Hirths Annalen 1886, S. 314; 
Schwartz, Verf. Urk., S. 408 ff., Entsch. des 
O. B. G., Bd. XXIII, S. 409, Bd. XX/XVI, S.429. 
2 S. hierüber Caspar, S. 21 ff. 
* S. über das verwickelte Strafensystem des 
§5. 17 Caspar, S. 88 ff. Das Gesetz unter- 
scheidet für die Bestrafung 1. die Aufforderung 
(Unternehmer); 2. die Leitung (Leiter und Ordner); 
3. die Tätigkeit als Redner, diese wieder in drei- 
facher Abstufung; 4. die anderweitige, passive, 
Teilnahme. a) Der 8. 17 bedroht die Teilnahme 
an einem Aufzuge oder an einer Versammlung 
unter freiem Himmel, zu welcher die polizeiliche 
Genehmigung nicht erteilt ist, mit Geldbuße von 
3—15 Mk. Wer dazu vor Eingang der Er- 
laubnis auffordert oder auffordern läßt, oder 
darin als Ordner, Leiter oder Redner tätig ist, 
hat Geldbuße von 15—150 Mk. oder Gefängnis 
von 8 Tagen bis zu 3 Monaten verwirkt. Diese 
Strafen find jederzeit verwirkt, wenn die Ver- 
sammlung oder der Aufzug in Städten und Ort- 
  
schaften oder auf öffentlichen Straßen, oder wenn 
eine Volksversammlung in den Fällen des §. 11 
stattgefunden hat. In allen anderen Fällen sind 
die Teilnehmer und selbst diejenigen, welche als 
Redner aufgetreten sind, nur dann strafbar, wenn 
die Versagung der Genehmigung oder das nach- 
trägliche Verbot vorher öffentlich oder den Teil- 
nehmern besonders bekannt gemacht war. Wird 
die Nichtgenehmigung oder das Verbot während 
der Versammlung oder während des Aufzugs 
selbst bekannt gemacht, so kann sich wegen seiner 
späteren Beteiligung niemand mit Unkenntnis der 
Nichtgenehmigung oder des Verbotes entschuldigen. 
b) Zur Anwendung des §. 17 ist nicht er- 
forderlich, das infolge der Aufforderung eine 
öffentliche Versammlung unter freiem Himmel 
auch wirklich stattgehabt habe (Erk. des Ob. 
Trib. v. 3. Okt. 1862, Entsch., Bd. XLIX, 
S. 197, Goltdammers Archiv, Bd. X, S. 838, 
Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. III, S. 48, J. 
M. Bl. 1862, S. 314). — Die Strafbarkeit 
der Teilnahme an einem polijzeilich nicht ge- 
nehmigten Aufzuge ist, wenn er in Ortschaften 
oder auf öffentlichen Straßen stattgefunden hat, 
nicht durch das Bewußtsein der mangelnden 
Genehmigung bedingt (Erk. des Ob. Trib. v. 
1. Juli 1875, Oppenhoffs Rechtsprechung, Bd. XVI, 
S. 510, Goltdammers Archiv, Bd. XXIII, S. 631). 
5 S. dazu Caspar, S. 64 f. Unter §. 21 
fallen insbesondere auch alle Versammlungen von 
Kommunalvertretungen sowie Synodal-Versamm- 
lungen: nicht unter dem Schutz des §. 21 dagegen 
würden parlamentarische Versammlungen stehen 
vor der Zeit der königlichen Einberufung oder 
nach erfolgter königlicher Schließung. 
* Vgl. das Nähere hierüber unten in der Ge- 
richtsverfassung. 
197
	        
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