Versammlungs- und Bereinsrecht.
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VI. Zu lebhaften Erörterungen hat in neuerer Zeit die Frage Anlaß gegeben, ob
Versammlungen wegen Gebrauchs einer nichtdeutschen Sprache polizeilich
aufgelöst werden dürfen.
Das Oberverwaltungsgericht hat in wiederholten
sondern unter eine außerordentliche staatliche Kon-
trolle zu stellen. Sind mehrere selbständige
Vereine der vorgedachten Art zu einem Verbande
vereinigt, so kann, wenn in einem derselben die
in §. 1, Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zu-
tage treten, die Ausscheidung dieses Vereins aus
dem Verbande und die Kontrolle über denselben
angeordnet werden. In gleicher Weise ist, wenn
die bezeichneten Bestrebungen in einem Zweig-
vereine zutage treten, die Kontrolle auf diesen
zu beschränken (F. 3). Die mit der Kontrolle
betraute Behörde ist befugt: a) allen Sitzungen
und Versammlungen des Vereins beizuwohnen;
b) Generalversammlungen einzuberufen und zu
leiten; c) die Bücher, Schriften und Kassenbe-
stände einzusehen, sowie Auskunft über die Ver-
hältnisse des Vereins zu erfordern; d) die Aus-
führung von Beschlüssen, welche zur Förderung
der in §. 1, Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen
geeignet sind, zu untersagen; e) mit der Wahr-
nehmung der Obliegenheiten des Vorstandes oder
anderer leitender Organe des Vereins geeignete
Personen zu betrauen; f) die Kassen in Ver-
wahrung und Verwaltung zu nehmen (§. 4).
Wird durch die Generalversammlung, durch den
Vorstand oder durch ein anderes leitendes Organ
des Vereins den von der Kontrollbehörde inner-
halb ihrer Befugnisse erlassenen Anordnungen
zuwidergehandelt, oder treten in dem Vereine die
in §. 1, Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen auch
nach Einleitung der Kontrolle zutage, so kann
der Verein verboten werden (§5. 5). Zuständig
für das Verbot und die Anordnung der Kon-
trolle ist die Landespolizeibehörde (der Regierungs-
präsident, für Berlin der Polizeipräsident). Das
Berbot ausländischer Vereine steht dem Reichs-
kanzler zu. Das Verbot ist in allen Fällen durch
den „Reichsanzeiger", das von der Landespolizei-
behörde erlassene Verbot überdies durch das für
amtliche Bekanntmachungen der Behörde be-
stimmte Blatt des Ortes oder des Bezirkes be-
kannt zu machen. Das Verbot ist für das ganze
Bundesgebiet wirksam und umfaßt alle Ver-
zweigungen des Vereins, sowie jeden vorgeblich
neuen Verein, welcher sachlich als der alte sich
darstellt (S. 6). Auf Grund des Verbotes sind
die Bereinskasse, sowie alle für Zwecke des Ver-
eins bestimmten Gegenstände durch die Behörde
in Beschlag zu nehmen. Nachdem das Verbot
endgültig geworden ist, hat die von der Landes-
polizeibehörde zu bezeichnende Verwaltungsbehörde
die Abwicklung der Geschäfte des Vereins (Liqui-
dation) geeigneten Personen zu übertragen und
zu Üüberwachen, auch die Namen der Liquidatoren
bekannt zu machen. An die Stelle des in den
Gesetzen oder Statuten vorgesehenen Beschlusses
der Generalversammlung tritt der Beschluß der
Verwaltungsbehörde. Das ligquidierte Vereins-
vermögen ist, unbeschadet der Rechtsansprüche
Dritter und der Vereinsmitglieder, nach Maßgabe
der Vereinsstatuten beziehungsweise der allge-
meinen gesetzlichen Bestimmungen zu verwenden.
Der Zeitpunkt, in welchem das Verbot endgültig
wird, ist als der Zeitpunkt der Auflösung oder
Schließung des Vereins (der Kasse) anzusehen.
Gegen die Anordnungen der Behörde findet nur
die Beschwerde an die Aufsichtsbehörden statt (§. 7).
Das von der Landespolizeibehörde erlassene Ver-
bot, sowie die Anordnung der Kontrolle ist dem
Vereinsvorstande, sofern ein solcher im Inlande
vorhanden ist, durch schriftliche, mit Gründen
versehene Verfügung bekannt zu machen. Gegen
dieselbe steht dem Vereinsvorstande die Beschwerde
(§. 26) zu. Die Beschwerde ist innerhalb einer
Woche nach der Zustellung der Verfügung bei
der Behörde anzubringen, welche dieselbe erlassen
hat. Die Beschwerde hat keine aufschiebende
Wirkung (§. 8). Die Entscheidung über die im
Falle des §. 8 (und des F§F. 13) erhobenen Be-
schwerden erfolgt durch die in Gemäßheit des
§. 26 des Gesetzes gebildete Reichskommission.
Das Nähere hierüber und über das Verfahren
der Kommission bestimmt der §. 27 des Gesetzes.
Der Geschäftsgang der Kommission ist durch das
Geschäftsregulativ derselben v. 4. Nov. 1878
(Zentralblatt für das Deutsche Reich 1878, Nr. 54,
S.601) angeordnet worden. 2. Versammlungen,
in denen sozialdemokratische, sozialistische oder
kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden
Staats= oder Gesellschaftsordnung gerichtete Be-
strebungen zutage treten, sind aufzulösen. Ver-
sammlungen, von denen durch Tatsachen die An-
nahme gerechtfertigt ist, daß sie zur Förderung
der im ersten Absatz bezeichneten Bestrebungen
bestimmt sind, sind zu verbieten. Den Versamm-
lungen werden öffentliche Festlichkeiten und Auf-
züge gleichgestellt (§. 9). 3. Zuständig für das
Verbot und die Auflösung ist die Polizeibehörde.
Die Beschwerde findet nur an die Ausfsichts-
behörden statt (5.10). 4. Das Einsammeln von
Beiträgen zur Förderung von sozialdemokratischen,
sozialistischen oder kommunistischen, auf den Um-
sturz der bestehenden Staats= oder Gesellschafts-
ordnung gerichteten Bestrebungen, sowie die öffent-
liche Aufforderung zur Leistung solcher Beiräge
sind polizeilich zu verbieten. Das Verbot ist
öffentlich bekannt zu machen. Die Beschwerde
findet nur an die Aufsichtsbehörden statt (F. 10).
5. Wer an einem verbotenen Vereine (F. 6)
als Mitglied sich beteiligt, oder eine Tätigkeit im
Interesse eines solchen Vereins ausübt, wird mit
Geldstrafe bis zu 500 Mark oder mit Gefängnis
bis zu 3 Monaten bestraft. Eine gleiche Strafe
trifft denienigen, welcher an einer verbotenen Ver-
sammlung (§. 9) sich beteiligt, oder welcher nach
polizeilicher Auflösung einer Versammlung (8. 9)
sich nicht sofort entfernt. Gegen diejenigen, welche
sich an dem Vereine oder an der Versammlung
als Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner
oder Kassierer beteiligen, oder welche zu der Ver-
sammlung auffordern, ist auf Gefängnis von
einem Monat bis zu einem Jahre zu erkennen
(§. 17). Wer für einen verbotenen Verein oder
für eine verbotene Versammlung Räumlichkeiten
hergibt, wird mit Gefängnis von einem Monat
bis zu einem Jahre bestraft (S. 18). Wer einem