Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Versammlungs- und Bereinsrecht. 
G. 60.) 293 
VI. Zu lebhaften Erörterungen hat in neuerer Zeit die Frage Anlaß gegeben, ob 
Versammlungen wegen Gebrauchs einer nichtdeutschen Sprache polizeilich 
aufgelöst werden dürfen. 
Das Oberverwaltungsgericht hat in wiederholten 
  
sondern unter eine außerordentliche staatliche Kon- 
trolle zu stellen. Sind mehrere selbständige 
Vereine der vorgedachten Art zu einem Verbande 
vereinigt, so kann, wenn in einem derselben die 
in §. 1, Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zu- 
tage treten, die Ausscheidung dieses Vereins aus 
dem Verbande und die Kontrolle über denselben 
angeordnet werden. In gleicher Weise ist, wenn 
die bezeichneten Bestrebungen in einem Zweig- 
vereine zutage treten, die Kontrolle auf diesen 
zu beschränken (F. 3). Die mit der Kontrolle 
betraute Behörde ist befugt: a) allen Sitzungen 
und Versammlungen des Vereins beizuwohnen; 
b) Generalversammlungen einzuberufen und zu 
leiten; c) die Bücher, Schriften und Kassenbe- 
stände einzusehen, sowie Auskunft über die Ver- 
hältnisse des Vereins zu erfordern; d) die Aus- 
führung von Beschlüssen, welche zur Förderung 
der in §. 1, Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen 
geeignet sind, zu untersagen; e) mit der Wahr- 
nehmung der Obliegenheiten des Vorstandes oder 
anderer leitender Organe des Vereins geeignete 
Personen zu betrauen; f) die Kassen in Ver- 
wahrung und Verwaltung zu nehmen (§. 4). 
Wird durch die Generalversammlung, durch den 
Vorstand oder durch ein anderes leitendes Organ 
des Vereins den von der Kontrollbehörde inner- 
halb ihrer Befugnisse erlassenen Anordnungen 
zuwidergehandelt, oder treten in dem Vereine die 
in §. 1, Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen auch 
nach Einleitung der Kontrolle zutage, so kann 
der Verein verboten werden (§5. 5). Zuständig 
für das Verbot und die Anordnung der Kon- 
trolle ist die Landespolizeibehörde (der Regierungs- 
präsident, für Berlin der Polizeipräsident). Das 
Berbot ausländischer Vereine steht dem Reichs- 
kanzler zu. Das Verbot ist in allen Fällen durch 
den „Reichsanzeiger", das von der Landespolizei- 
behörde erlassene Verbot überdies durch das für 
amtliche Bekanntmachungen der Behörde be- 
stimmte Blatt des Ortes oder des Bezirkes be- 
kannt zu machen. Das Verbot ist für das ganze 
Bundesgebiet wirksam und umfaßt alle Ver- 
zweigungen des Vereins, sowie jeden vorgeblich 
neuen Verein, welcher sachlich als der alte sich 
darstellt (S. 6). Auf Grund des Verbotes sind 
die Bereinskasse, sowie alle für Zwecke des Ver- 
eins bestimmten Gegenstände durch die Behörde 
in Beschlag zu nehmen. Nachdem das Verbot 
endgültig geworden ist, hat die von der Landes- 
polizeibehörde zu bezeichnende Verwaltungsbehörde 
die Abwicklung der Geschäfte des Vereins (Liqui- 
dation) geeigneten Personen zu übertragen und 
zu Üüberwachen, auch die Namen der Liquidatoren 
bekannt zu machen. An die Stelle des in den 
Gesetzen oder Statuten vorgesehenen Beschlusses 
der Generalversammlung tritt der Beschluß der 
Verwaltungsbehörde. Das ligquidierte Vereins- 
vermögen ist, unbeschadet der Rechtsansprüche 
Dritter und der Vereinsmitglieder, nach Maßgabe 
der Vereinsstatuten beziehungsweise der allge- 
meinen gesetzlichen Bestimmungen zu verwenden. 
Der Zeitpunkt, in welchem das Verbot endgültig 
  
wird, ist als der Zeitpunkt der Auflösung oder 
Schließung des Vereins (der Kasse) anzusehen. 
Gegen die Anordnungen der Behörde findet nur 
die Beschwerde an die Aufsichtsbehörden statt (§. 7). 
Das von der Landespolizeibehörde erlassene Ver- 
bot, sowie die Anordnung der Kontrolle ist dem 
Vereinsvorstande, sofern ein solcher im Inlande 
vorhanden ist, durch schriftliche, mit Gründen 
versehene Verfügung bekannt zu machen. Gegen 
dieselbe steht dem Vereinsvorstande die Beschwerde 
(§. 26) zu. Die Beschwerde ist innerhalb einer 
Woche nach der Zustellung der Verfügung bei 
der Behörde anzubringen, welche dieselbe erlassen 
hat. Die Beschwerde hat keine aufschiebende 
Wirkung (§. 8). Die Entscheidung über die im 
Falle des §. 8 (und des F§F. 13) erhobenen Be- 
schwerden erfolgt durch die in Gemäßheit des 
§. 26 des Gesetzes gebildete Reichskommission. 
Das Nähere hierüber und über das Verfahren 
der Kommission bestimmt der §. 27 des Gesetzes. 
Der Geschäftsgang der Kommission ist durch das 
Geschäftsregulativ derselben v. 4. Nov. 1878 
(Zentralblatt für das Deutsche Reich 1878, Nr. 54, 
S.601) angeordnet worden. 2. Versammlungen, 
in denen sozialdemokratische, sozialistische oder 
kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden 
Staats= oder Gesellschaftsordnung gerichtete Be- 
strebungen zutage treten, sind aufzulösen. Ver- 
sammlungen, von denen durch Tatsachen die An- 
nahme gerechtfertigt ist, daß sie zur Förderung 
der im ersten Absatz bezeichneten Bestrebungen 
bestimmt sind, sind zu verbieten. Den Versamm- 
lungen werden öffentliche Festlichkeiten und Auf- 
züge gleichgestellt (§. 9). 3. Zuständig für das 
Verbot und die Auflösung ist die Polizeibehörde. 
Die Beschwerde findet nur an die Ausfsichts- 
behörden statt (5.10). 4. Das Einsammeln von 
Beiträgen zur Förderung von sozialdemokratischen, 
sozialistischen oder kommunistischen, auf den Um- 
sturz der bestehenden Staats= oder Gesellschafts- 
ordnung gerichteten Bestrebungen, sowie die öffent- 
liche Aufforderung zur Leistung solcher Beiräge 
sind polizeilich zu verbieten. Das Verbot ist 
öffentlich bekannt zu machen. Die Beschwerde 
findet nur an die Aufsichtsbehörden statt (F. 10). 
5. Wer an einem verbotenen Vereine (F. 6) 
als Mitglied sich beteiligt, oder eine Tätigkeit im 
Interesse eines solchen Vereins ausübt, wird mit 
Geldstrafe bis zu 500 Mark oder mit Gefängnis 
bis zu 3 Monaten bestraft. Eine gleiche Strafe 
trifft denienigen, welcher an einer verbotenen Ver- 
sammlung (§. 9) sich beteiligt, oder welcher nach 
polizeilicher Auflösung einer Versammlung (8. 9) 
sich nicht sofort entfernt. Gegen diejenigen, welche 
sich an dem Vereine oder an der Versammlung 
als Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner 
oder Kassierer beteiligen, oder welche zu der Ver- 
sammlung auffordern, ist auf Gefängnis von 
einem Monat bis zu einem Jahre zu erkennen 
(§. 17). Wer für einen verbotenen Verein oder 
für eine verbotene Versammlung Räumlichkeiten 
hergibt, wird mit Gefängnis von einem Monat 
bis zu einem Jahre bestraft (S. 18). Wer einem
	        
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