294 Das Staatsbürgerrecht. (F. 60.)
Entscheidungen (I, 347, XXXII, 395)1 die Frage verneint. Dieser Ansicht kann
nicht beigepflichtet werden. Weder die Verfassung noch das Vereinsgesetz enthalten
hierüber eine direkte Vorschrift. Da Preußen deutscher Nationalstaat ist, kann dies
Schweigen nur im Sinne der deutschen Staatssprache verstanden werden. Die An-
wendung fremder Sprachen im gesamten Umfang des preußischen und
deutschen Staatslebens ist nur insoweit zulässig, als besondere Ausnahmen
nach dieser Richtung durch Gesetz gemacht sind; soweit dies nicht der Fall
ist, herrscht ausschließlich die deutsche Staatssprache. Für die Polizei
überhaupt, somit auch für die Vereins= und Bersammlungspolizei, bestehen
solche Ausnahmen nicht. Die Einfügung der Vereine und Versammlungen in den
Rahmen der preußischen Polizei, soweit sie durch das Bereinsgesetz erfolgt ist, bedingt
somit die Anwendung der deutschen Sprache in Vereinen und Versammlungen, wie dies
für die Handhabung der Vereinspolizei auch vom Obertribunal ausdrücklich anerkannt
ist; die Gründe für die Vereinspolizei gelten aber genau ebenso für die Versammlungs-
polizei. Alle dem Vereinsgesetz unterliegenden Versammlungen sind demnach
in deutscher Sprache abzuhalten, widrigenfalls sie aus allgemeinpolizei-
lichen Gründen aufgelöst werden können.
VII. Was die nicht politischen Vereine betrifft, so war für eine Gattung derselben,
nämlich die auf dem Prinzip der Selbsthilfe beruhenden Erwerbs= und Wirtschaftsgenossen-
schaften, eine reichsgesetzliche Regelung ihrer Verhältnisse bereits für das Gebiet des
Norddeutschen Bundes durch das Gesetz v. 4. Juli 1868, betreffend die privatrechtliche
Stellung der Erwerbs= und Wirtschaftsgenossenschaftens, welches demnächst als Reichs-
gesetz für das ganze Reich in Geltung getreten ist, erfolgt, an dessen Stelle jetzt das
Gesetz v. 1. Mai 1889, bezw. v. 20. Mai 1898 getreten ist. Von Reichs wegen ge-
regelt find ferner die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (G. v. 20. April 1892s,
die handelsrechtlichen Gesellschaften, die Kolonialgesellschaften (G. v. 25. Juli 1900),
endlich die privaten Versicherungsgesellschaften (G. v. 12. Mai 1901), diese allerdings
vererst lediglich nach ihrer verwaltungsrechtlichen Seite. Ferner hat das B. G. B. in
den §§. 21—79 einheitliche Vorschriften darüber gegeben, in welcher Weise Vereine,
für welche keine reichs= oder landesrechtliche Spezialgesetzgebung besteht, den Rechtscharakter
nach §. 16 erlassenen Verbote zuwiderhandelt, gewiesen werden. Die Beschwerde findet nur an
wird mit Geldstrafe bis zu 500 Mark oder mit
Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft. Außer-
dem ist das zufolge der verbotenen Sammlung
oder Aufforderung Empfangene oder der Wert
desselben der Armenkasse des Orts der Sammlung
für verfallen zu erklären (§. 20). Wer ohne
Kenntnis, jedoch nach erfolgter Bekanntmachung
des Verbotes durch den „Reichsanzeiger" (§8 6, 12)
eine der in den S§. 17, 18, 19 verbotenen Hand-
lungen begeht, ist mit Geldstrafe bis zu 150 Mark
oder mit Haft zu bestrafen. Gleiche Strafe trifft
den, welcher nach erfolgter Bekanntmachung des
Berbotes einem nach §8. 16 erlassenen Verbote
zuwiderhandelt. Die Schlußbestimmung des
§. 20 findet Anwendung (s. 21). Gegen Per-
sonen, welche sich die Agitation für die im §. 1,
Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zum Geschäfte
machen, kann im Falle einer Verurteilung wegen
Zuwiderhandlungen gegen die S§. 17—20 neben
der Freiheitsstrafe auf die Zulässigkeit der Ein-
schränkung ihres Aufenthaltes erkannt werden.
Auf Grund dieses Erkenntnisses kann dem Ver-
urteilten der Aufenthalt in bestimmten Bezirken
oder Ortschaften durch die Landespolizeibehörde
versagt werden, jedoch in seinem Wohnsitze nur
dann, wenn er denselben nicht bereits seit sechs
Monaten inne hat. Ausländer können von der
Landespolizeibehörde aus dem Bundesgebiete aus-
die Aufsichtsbehörden statt. Zuwiderhandlungen
werden mit Gefängnis von einem Monat bis zu
einem Jahre bestraft (§. 22). Unter den im
8. 22, Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann
gegen Gastwirte, Schankwirte, mit Branntwein
und Spiritus Kleinhandel treibende Personen,
Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und
Inhaber von Lesekabinetten neben der Freiheite-
strafe auf Untersagung ihres Gewerbebetriebes
erkannt werden (§. 23).
1 S. dazu die juristisch geringe Ausbeute bieten-
den parlamentarischen Verhandlungen des Abg. H.,
Stenogr. Ber. d. Abg. H. 1902, S. 5398 ff.; dazu
Zorn, im Verwaltungsarchiv, Bd. X, S. 1fl.,
189 ff.; dagegen Paalzow, Zur Polenfrage
(1902), S. 7 ff. Das O. V. G. und Baalzow
gehen nach meiner Uberzeugung fehl, weil sie den
verfassungsmäßigen Rechtsgrundsatz der deurichen
Staatesprache, auf dem das gesamte preußische
und deutsche Staatsleben beruht, gänzlich unde-
rücksichtigt lassen: nicht der Grundsatz der deutschen
Staatssprache war vom Gesetzgeber auszusprechen,
sondern die Ausnahmen von diesem Grundsatz-
Vgl. jetzt auch Gefscken im Arch. f. öff. N.,
Bd. 20, S. 1 ff., der einen vermittelnden Stand-
punkt vertritt.
* S. oben S. 282, N. 7 unter e.
2 B. G. Bl. 1868, S. 415 ff.