362 Die Staatsbehörden. (8. 69.)
welchem sie indes in mehreren Beziehungen abwich. Der Hauptunterschied der neuen Ein-
richtung von den Steinschen Vorschlägen lag in der durch die Verordnung v. 27. Okt.
18101 dem Staatskanzler zugewiesenen Stellung, kraft deren dieser die Oberaufsicht über
jeden Verwaltungszweig ohne Ausnahme führte, indem er Rechenschaft und Auskunft über
alle Gegenstände fordern, sowie Maßregeln und Anordnungen in jedem Ressort fuspen-
dieren und in dringenden Fällen sogar selbständig verfügen durfte, während die De-
partementsminister nur in vollständiger Unterordnung unter den Staatskanzler die laufenden
Geschäfte zu besorgen hatten und unmittelbaren Vortrag beim König nur hatten, wenn der
König selbst es ausdrücklich anordnete, oder der Staatskanzler ihnen Vorträge übertrug.
Auch in den Ressortverhältnissen der einzelnen Ministerien wurden mehrere Anderungen
getroffen.) Inzwischen unterbrachen die Befreiungskriege die weitere Ausführung der
Reformpläne, welche dann erst späterhin mit verschiedenen Modifikationen zur Ausführung
gediehen, deren unten bei der Darstellung der einzelnen davon betroffenen Zweige des
Organismus der Dehörden näher gedacht werden wird. Auch in betreff der Provinzial=
behörden sind mehrfache Anderungen der Organisation eingetreten; im wesentlichen ist hier
jedoch auf der Grundlage der Verordnungen vom Jahre 1308 weiter fortgebaut worden.
So wie sich nun der Organismus der Behörden schließlich gestaltet hat, besteht zu-
nächst bei den Zentralbehörden eine rein burcaumäßige Einrichtung in den einzelnen
Ministerialdepartements. Der kollegiale Charakter des Gesamtstaatsministeriums bildet
die Ausnahme auf Grund bestimmter gesetzlicher Einzelvorschriften. Was die Provinzial=
behörden betrifft, so sind die Oberpräsidien rein bureanmäßig eingerichtet; dagegen
kollegialisch die Regierungen, ebenso wie die meisten Provinzialbehörden der besonderen
Verwaltungen; doch ist seit 1880 bezüglich der Regierungen eine grundsätzliche Ver-
änderung eingetreten (s. hierüber unten §. 70 II, sowie in der Lehre von der Provinzial-
verwaltung §. 83 ff.
In diesen Verhältnissen hat der Erlaß der Verfassung im Jahre 1848 keine
Anderung herbeigeführt.“ Auch hat die Verfassungsurkunde keine Bestimmungen über die
Organisation der Staatsbehörden erteilt, wohl aber im Art. 110 (unter den allge-
meinen Bestimmungen) vorgeschrieben, daß alle durch die bestehenden Gesetze angeordneten
Behörden bis zur Ausführung der sie betreffenden organischen Gesetze in Tätigkeit bleiben
sollen.
V. über die Bedeutung der Städteordnung v. 19. Nov. 1808 im System der
Steinschen Verwaltungsreform und die Weiterentwicklung ihrer Gedanken s. Bd. I, S. 2,
sowie den nächsten S. 70, IX.
1 Bgl. Nr. II der Verordnung v. Okt. 1810.
2 Ungeachtet die Verordnung v. 2 Okt. 1810
späterhin mehrfache Abänderungen erfahren hat,
trag des Abgeordneten Solger v. 30. Nov.
1868 in den Stenogr. Ber. des Abg. H. 186.
—69, Anl. Bd. II. S. 693, Aktenst. Nr. 79,
insbesondere deren Kernpunkt, das Staatskanzler=
amt, beseitigt wurde, ist sie doch die formelle
Grundlage, auf welcher sich die noch gegenwärtig
bestehende Einrichtung des Organismus der
obersten Staatsbehörden entwickelt hat.
* S. hierüber Bd. I., S. 248.
4 Die Erweiterung des Staates im Jahre
1866 hat besondere Veranlassung gegeben, die
Notwendigkeit einer Reform der Verwaltung im
Hause der Abgcordneten mehrfach zur Sprache
zu bringen. In der Sitzungsperiode 1868—69
hat das Haus beschlossen, „die Staateregierung
aufzufordern, eine vollständige Reorganisation
der gesamten inneren Verwaltung, insoweit sie
gegenwärtig zum Geschäftskreise der Regierungen
gehört, in Ubereinstimmung mit den für eine
neuc Ordnung der Gemeinde--, Kreis= und Pro-
vinzialverfassungen zu erlassenden Gesetzen bald-
möglichst herbeizuführen und dem Landtage die
diesfallsigen Gesetze vorzulegen“ vgl. den An-
und die Verhandlungen darüber in den Sitzungen
v. 3. und 4. Dez. 1368, Stenogr. Ber. 1868
—69, Bd. ., S. 398—449). — Vgl. die Schrift:
Zur Organisationsfrage, von einem preußischen
Regierungsbeamten (Kassel 1868), ferner Gneist,
Verwaltung, Justiz, Rechtsweg usw., S. 7, S
32—990.
5 Eine solche Bestimmung war weder in dem
von der Staatsregierung vorgelegten Verf. Entw.
v. 29. Mai 1848, noch in dem Entwurfe der
Verf. Komm. der Nat. Vers. enthalten, sondern
dieselbe findet sich zuerst im Art. 109 der
oktroyierten Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848, aus
welchem sie unverändert in den Art. 110 der
Verf. Urk. v. 31. Jan. 1850 übergegangen ist.
— Die Bestimmung des Art. 110 läßt indes
erkennen, daß es zur Zeit des Erlasses der Verf.
Urk. allerdings beabsichtigt worden ist, ander-
weitige organische Gesetze Über die Einrichtung
der Staatobehörden zu erlassen.