Die besonderen Zivilgerichte. (8. 105.) 713
G. Die Auseinandersetzungsbehörden.1
Die nach §. 14, Nr. 2 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes als besondere
Gerichte zugelassenen Gerichte, welchen die Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten bei der Ablösung von Gerechtigkeiten oder Reallasten, bei Separationen, Konsoli-
dationen, Verkoppelungen, gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzungen und dergleichen
obliegt, bestehen nach Uberwindung der früheren Zersplitterung heute in einer im
wesentlichen übereinstimmenden Organisation für die ganze Monarchie. Für die Regu-
lierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse, für die Ausführung der Gemeinheits-
teilungen (Aufhebung von Grundgerechtigkeiten, Zusammenlegung und Teilung von Grund-
stücken) und für die Ablösung der Reallasten sind besondere Behörden — die General-
kommissionen — errichtet, welche nicht allein den Hauptgegenstand der Auseinandersetzung,
sondern auch alle anderweitigen Rechtsverhältnisse, welche bei der vorschriftsmäßigen Aus-
führung der Auseinandersetzung nicht in ihrer bisherigen Lage verbleiben können, zu
regulieren und Überhaupt alle Festsetzungen zu treffen haben, deren es bedarf, um die
Auseinandersetzung zur Ausführung zu bringen. Die hierbei vorkommenden Streitigkeiten
entscheiden die Auseinandersetzungsbehörden als besondere Gerichte. Das Verfahren in
Auseinandersetzungsangelegenheiten ist durch das Gesetz v. 18. Febr. 18802 geregelt
worden, nach welchem auf dieses Verfahren die Vorschriften der Deutschen Zivilprozeß-
ordnung mit zahlreichen Einschränkungen und Abweichungen Anwendung finden, deren
wesentlichste darin besteht, daß eine mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte
erster und zweiter Instanz nicht stattfindet, sondern daß an die Stelle derselben eine
schriftliche Instruktion des Prozesses durch einen Kommissarius tritt.
Die Entscheidungen der Generalkommissionen erfolgen in der Besetzung von min-
destens drei Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden. Die zweite Instanz in Aus-
einandersetzungsangelegenheiten bildet das Oberlandeskulturgericht. Die Gerichtsbarkeit
dritter Instanz in den hier in Rede stehenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist auf
Grund des §. 19 des Ausführungsgesetzes v. 24. April 1878 und des §. 3, Abs. 2
des Einführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze durch den §. 1 der
kaiserlichen Verordnung v. 26. Sept. 1879“ dem Reichsgerichte übertragen.
II. Die Dorf= und Ortsgerichte.
Im Gebiete des Allgemeinen Landrechts wie in mehreren Gebieten der westlichen
Landesteile der Monarchie bestehen für das platte Land lokale Organisationen, welche
als „Gerichte“ bezeichnet werden, aber Verwaltungsbehörden sind. Diesen Dorf= oder
Ortsgerichten waren seit alters erhebliche Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit über-
tragen, und von diesem Gesichtspunkte aus müssen sie hier erwähnt werden. Die Bildung
dieser Dorf= oder Ortsgerichte erfolgt in der Weise, daß der Gemeindevorsteher Vor-
sitzender ist und eine verschieden bestimmte Anzahl von Beisitzern als Schöffen, Dorf-
geschworene, Ratmänner oder unter ähnlichen Bezeichnungen mit dem Gemeindevorsteher
zusammen das „Gericht“ bilden. Insoweit dieses Gericht Funktionen der freiwilligen
Vormundschafts-O. v. 5. Juli 1875 (G. S. 1875,
S. 431 ff.) hat dementsprechend im §. 100 be-
stimmt, daß es rücksichtlich der Vormundschafts-
und Pflegschaftsangelegenheiten der Mitglieder des
Königl. Hauses und des hohenzollernschen Fürsten-
hauses bei der Hausverfassung sein Bewenden
behält. — Bezüglich der Führung und Aufbe-
wahrung der Standesregister für die königliche
Familie und die fürstliche Familie Hohenzollern
vgl. §. 72 des Reichsges. v. 6. Febr. 1875 über
die Beurkundung des Personenstandes usw. (R.
G. Bl. 1875, S. 37).
1 S. hierzu oben, S. 416 über das Oberlandes-
kulturgericht, S. 50., über die Generalkommissionen.
* G. S. 180, S. 59 ff. — Vagl. den Ent-
wurf dieses Gesetzes (nebst Motiven) in den
Stenogr. Ber. des Abg. H. 1879—80, Anl. Bd. I,
Aktenst. Nr. 8, S. 298 ff., den Komm. Ber. v.
4. Dez. 1879, ebendas., Anl. Bd. II, Aktenst.
Nr. 67, S. 1169 ff. und die Verhandlungen
darüber in den Sitz. v. 4. Nov. u. 15. u. 19.
Dez. 1879 (Stenogr. Ber. des Abg. H. 1879—80,
Bd. 1, S. 24 ff., 626 ff. u. 722), ferner den
Komm. Ber. des H. H. v. 21. Jan. 1880 in
den Stenogr. Ber. desselben 1879—80, Bd. II,
Aktenst. Nr. 56, S. 325 ff. und die Verhand-
lungen darüber a. a. O., Bd. I. S. 133—138.
3 Verordnung v. 22. Nov. 1844, §. 4 (G. S.
1845, S. 19).
* R. G. Bl. 1879, S. 287.
5 A. L. R., Bd. II, 7, §. 79 ff. für die Dorf-
gerichte, für die Ortsgerichte s. unten, S. 714.