Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

84 Das Staatsbürgerrecht. (F. 53.) 
für dieses Gebiet der Gehorsam ein unbedingter, d. h. dem Einzelnen steht nicht die 
Befugnis der Entscheidung darüber zu, ob eine Maßregel der Verfassung entspricht oder 
nicht. Für das bürgerliche Leben dagegen kann auch beim Einzelnen nur von der Ver- 
pflichtung der Staatsbürger zum verfassungsmäßigen Gehorsam die Rede sein. 
Dieser allgemeine Grundsatz ist in der Theorie nicht bestritten, und wenngleich die Ver- 
fassungsurkunde denselben nicht mit ausdrücklichen Worten ausspricht , so ergibt sich doch 
dessen Gültigkeit auch für das preußische Verfassungsrecht ganz von selbst aus der Natur 
der konstitutionellen Verfassung; auch liegt das Anerkenntnis des nicht unbedingten, 
sondern gesetzlich begrenzten Gehorsams vor allem in der Formel des von den Mit- 
gliedern der Kammern und von allen Staatsbeamten zu leistenden Eides. Grundsätz- 
lich muß daher angenommen werden, daß die Staatsbürger, weil sie nur zum ver- 
fassungsmäßigen Gehorsam verpflichtet sind, nicht verbunden sein können, wider- 
rechtlichen Befehlen Folge zu leisten. Dagegen bestehen allerdings abweichende Ansichten 
über die Frage, wie sich die Staatsbürger zu verhalten haben, wenn sie mit ungesetz- 
lichen Befehlen bedroht werden. Kein Zweifel kann zuvörderst darüber bestehen, daß in 
solchen Fällen, zunächst bei den vorgesetzten Instanzen, die Zurücknahme oder Abänderung 
des widerrechtlichen Befehls auf dem Beschwerdewege beantragt werden muß; die Be- 
schwerde kann sich steigern zur „Petition bei der Volksvertretung“ (s. unten IV.); inso- 
weit bleibt die Angelegenheit in dem rechtlich geordneten Wege des Staatslebens. Die 
Frage kann sich also nur auf den Fall beziehen, wenn entweder der Weg der Beschwerde 
erfolglos eingeschlagen worden ist, oder die gesetzwidrige Anordnung ohne Berücksichtigung 
der angebrachten Beschwerde sofort zum Vollzuge gebracht werden soll. Um dieselbe aus 
dem Standpunkte des positiven preußischen Staatsrechtes zu beantworten, müssen die 
bestehenden Vorschriften der Strafgesetzgebung in Betracht gezogen werden. Das Reichs- 
strafgesetzbuch handelt von dem „Widerstande gegen die Staatsgewalt“ im Abschn. VI. 
Widerstand gegen die Staatsgewalt ist in dreifacher Abstufung möglich, nämlich a) als 
einfacher Ungehorsam durch bloße Nichtbefolgung obrigkeitlicher Befehle, Anordnungen 
oder Gesetze; b) als passiver Widerstand, welcher nur leidet, daß er bezwungen 
werde, aber diesem Zwange selbst nicht positiv entgegenwirkt; c) als Widersetzung oder 
Widerstand mit positiver, entgegengesetzter Gewalt (aktiver Widerstand), welcher in die 
qualifizierten Formen des Zwanges und Aufruhrs mit vereinten Kräften übergehen kann. 
Die beiden ersten (zu a und b gedachten) Stufen des Ungehorsams“ und der Unbot- 
  
1 Schon Moser, Von der Landeshoheit in hergeben darf.“ Vgl. hiermit 3. Aufl., Bd. II, 
Ansehung der Untertanen, S. 71, sagt: „Be= S. 529 ff. 
sonders aber kann ein Herr von denen Unter- * Die württembergische Verf. Urk. enthält da- 
tanen keinen Gehorsam verlangen, wenn er gegen (8. 21) ausdrücklich den Satz, daß nur 
ihnen etwas anbefiehlt, welches offenbar und un- „verfassungsmäßiger“ Gehorsam zu leisten sei. 
streitig denen Landesfreiheiten und Verträgen zu= Bgl. darüber v. Mohl, Württiemberg. St. R., 
wider ist.“ — Auch Stahl, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Bd. I, S. 326 ff., und über diesen 
Bd. II, 2. Aufl., S. 223 hat sich im Prinzip schon in der älteren württemberg. Landesver- 
zu dieser Ansicht bekannt, indem er (wie v. Mohl fassung begründeten Grundsatz Zachariä. D. 
in der Geschichte der Literatur der Staatswissen= St. u. B. R., 3. Aufl., Bd. I, S. 473, Note 3. 
schaft, Bd. 1, S. 333 bemerkt) „hier seine Meistere= Die bayrische Verf. Urk., Tit. X, §. 3 drückt 
schaft kluger Vermittlung zwischen der Achtung dasselbe mit den Worten aus: „Gehorsam der 
vor der Logik und vor der Autorität beweist". Gesetze“. 
Er sagt nämlich: „Der Untertan darf zwar nicht * Die Mitglieder der beiden Kammern, welche 
richten über seinen Regenten; er darf und muß nach Art. 83 der Verf. Urk. das ganze Volk ver- 
aber richten über sein Gewissen, und da muß treten, leisten nach Art. 108 dem Könige den 
irgendwo eine Grenze des Gehorsams und der Eid der Treue und des Gehorsams, und be- 
Willfährigkeit sich finden. Sie findet sich auch schwören zugleich „die gewissenhafte Beobachtung 
in der unumschränkten Monarchie da, wo der Verfassung“. 
der Befehl gegen Gottes Gebot, gegen das all- * Der §. 129 des R. Str. G. B., welcher 
gemeine Gefühl von Recht und Ehre ist. Ist „die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren 
aber das Gesetz ausgebildet und als Schranke Zwecke oder Beschäftigungen es gehört, Maßregeln 
des Königs anerkannt, dann werden auch die der Verwaltung oder die Vollziehung von Ge- 
positiven Bestimmungen desselben und die be= setzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern 
stehende Verfassung zur Gewissenssache, so daß oder zu entkräften“, unter Strafe stellt, gehört 
kein Wohlgesinnter sich zu ihrem Umsturz nicht hierher. Diese Vorschrift hat vielmehr den 
 
	        
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