Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. (S. 118.) 99
dem Sinne und der Absicht der Verfassungsurkunde sich ergebenden Gründen, welche
vollständig ausreichen, um jeden Zweifel gegen die von dem Abgeordnetenhause an—
genommene Bedeutung des Abs. 3 des Art. 62 zu beseitigen, tritt schließlich auch noch
der, daß die Entstehungsgeschichte des in Rede stehenden Satzes zugunsten dieser Ansicht
spricht. Die nach Beendigung der Revision der Verfassungsurkunde v. 5. Dez. 1848
erlassene königliche Botschaft v. 7. Jan. 1850, welche zunächst den Vorschlag machte,
der Zweiten Kammer einen überwiegenden Einfluß auf Finanzfragen einzuräumen, wollte
dies lediglich durch Aufnahme der Bestimmung bewirken, daß „Finanzgesetzentwürfe“ zuerst
der Zweiten Kammer vorzulegen seien. Die Revisionskommission der Zweiten Kammer,
welche die Annahme dieses Vorschlages der königlichen Botschaft empfahl, bemerkte dabei 1,
„daß diese Zusatzbestimmung erst dann zu voller Bedeutung kommen würde, wenn mit
ihr die andere verbunden werde, daß der Ersten Kammer nur das Recht zustehen solle,
das Staatshaushaltsgesetz, wie es aus den Beratungen der Zweiten Kammer
hervorgehe, im ganzen anzunehmen oder zu verwerfen“. Da indes von seiten der
Revisionskommission ein Antrag auf Hinzufügung einer solchen Bestimmung nicht gestellt
worden war, so geschah dies bei der Beratung im Plenum der Zweiten Kammer und
es erhielt infolgedessen der Abs. 3 des Art. 62 seine jetzige Fassung. Allerdings ist
nun in dieser Fassung nicht ausdrücklich bestimmt, daß die dem Herrenhause nur
zustehende Abstimmung über das Ganze des Staatshaushaltsetats sich nur auf den „aus
den Beratungen des Abgeordnetenhauses hervorgehenden Etat“ beziehen dürfe; allein es
ergibt sich doch, daß gerade dies die Absicht des beschlossenen Zusatzes gewesen ist,
welcher sonst auch völlig bedeutungslos sein und dem erklärten Zwecke, „dem Abgeord-
netenhause einen überwiegenden Einfluß auf Finanzfragen zu gewähren“, in keiner Weise
Rechnung tragen würde.?
b) Es fragt sich ferner, ob es verfassungsmäßig zulässig ist, vor der Beschluß-
nahme des Herrenhauses über die Annahme oder Ablehnung des von dem Abgeordneten-
hause an das Herrenhaus gelangten Staatshaushaltsetats eine Zwischenverhandlung
über die einzelnen Positionen des Etats mit dem Abgeordnetenhause eintreten zu lassen.
für Politik u. Literatur, Bd. VII, S. 161 ff.,
Bd. IX, S. 177 ff., sowie die Schrift: Lasker,
Zur Verfassungsgeschichte Preußens, S. 271 ff.).
1 Vgl. den Komm. Ber. über die Propos. VII
in den Stenogr. Ber. der 2. K. 1849 —50,
S. 2073.
2 Mit v. Rönnes Ausführung hat sich Dalcke
(in Kochs Komment. zum A. L. R., 6. Ausg., Bd. IV,
S. 714 in der Note 2) unbedingt einverstanden
erklärt. Auch G. Meyer (Lehrb., §. 97, N. 7)
spricht sich dahin aus, daß die in Rede stehenden
Beschlüsse des H. H. „verfassungswidrig“
seien, und v. Schulze, Pr. St. R., Bd. II, S.
51, welcher gleichfalls mit v. Rönnes Ansicht
übereinstimmt, bemerkt, daß die Auffassung des
H. H. zwar nicht geradezu dem Buchstaben der
Verf. Urk., wohl aber dem Sinne derselben und
der klar ausgesprochenen Absicht widerspreche.
Graf v. Arnim macht in seiner oben an-
geführren Flugschrift geltend, es sei bei den
Vorberatungen des Art. 62 auch zur Sprache
gebracht worden, die Bestimmung so zu fassen,
daß das Staatshaushaltsgesetz, „wie es aus
den Beratungen der Zweiten Kammer
hervorgegangen“, von der 1. K. im ganzen
anzunehmen oder abzulehnen sei, daß aber bei
der definitiven Beratung die gesperrt gedruckten
Worte hinweggelassen seien, und folgert
dann hieraus, daß deshalb das H. H. die
Befugnis besitze, auch über den von der
Staatsregierung vorgelegten Entwurf im
ganzen abzustimmen. Diese Deduktion ist jedoch
nicht zutreffend. Die Rev. Komm. der 2. K. hatte
nur beiläufig bemerkt, daß die in der Pro-
position VII vorgeschlagene Zusatzbestimmung erst
dann zu voller Bedeutung komme, wenn sie auch
auf „das Staatshaushaltsgesetz ausgedehnt und
zugleich festgesetzt werde, daß in betreff des-
selben der 1. K. nur die Befugnis zustehen
solle, dasselbe en bloc anzunehmen oder zu ver-
werfen“ (d. h. also ohne das Recht der Amendie-
rung). Einen Antrag auf Annahme einer
solchen Bestimmung hatte indes die Nev. Komm.
der 2. K. nicht gestellt; wohl aber war dies im
Zentralausschuß der 1. K. ausdrücklich geschehen,
hier jedoch abgelehnt worden. Im Plenum der
2. K. wurden dagegen zwei hierauf gerichtete (nur
in ihrer Fassung voneinander abweichende) An-
träge (von den Abgeordn. v. Viebahn u. Gen.
und von den Abgeordn. Urlichs u. Gen.) gestellt,
von welchen der eine (v. Viebahn) Annahme
fand. Daß diese Amendements nicht ausdrück-
lich dahin gerichtet wurden, zu bestimmen, daß
das Recht des H. H. sich nur darauf beschränken
solle, über das „von der Zweiten Kammer fest-
gestellte Budget“ en bloc abzustimmen, ist richtig,
jedoch deshalb völlig unerheblich, weil es ganz
überflüssig war, dies ausdrücklich zu be-
stimmen; denn das bloße Recht der Annahme
oder Ablehnung en bloc schließt eben das Recht
der Amendierung aus, und dadurch von selbst
auch das Recht des Zurückgehens auf den bereits
im A. H. amendierten Entwurf der Staats-
regierung.
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