Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. (§. 118.) 101 
achtet werden bzw. geboten, also ein Nachtragsetat gerechtfertigt sein, wenn ganz be- 
sondere und außergewöhnliche Ereignisse eine Nachforderung der Staatsregierung erheischen. 
Abgesehen von einem solchen Falle dagegen würde ein Herausreißen einzelner Ausgaben 
aus dem Staatshaushaltsetat mit den verfassungsmäßigen Rechten der beiden Häuser 
des Landtages bezüglich der Bewilligung des Budgets nicht vereinbar sein, ins- 
besondere auch gegen den Grundsatz des Art. 62 der Verfassungsurkunde verstoßen, nach 
welchem dem Herrenhause in bezug auf die Feststellung des Staatshaushaltsetats nicht 
das gleiche Recht wie dem Abgeordnetenhause, sondern nur das Recht zusteht, den 
Staatshaushaltsetat im ganzen anzunehmen oder abzulehnen, also nicht das Recht der 
Amendierung, welches nur dem Abgeordnetenhause gebührt. Die Zerteilung des Staats- 
haushaltsetatsgesetzes in mehrere Gesetze, welche die Ausgaben des Staates für das 
betreffende Etatsjahr nicht im ganzen, sondern getrennt voneinander feststellen, würde 
der dem Abgeordnetenhause verfassungsmäßig zugestandenen Prärogative zuwiderlaufen, 
welche auf ein in verschiedene Teilgesetze zerlegtes Budget keine Anwendung finden 
könnte.1 Ubrigens hat es nicht an Versuchen gefehlt, welche die Tendenz verfolgten, 
eine Abänderung der Bestimmungen des Art. 99 der Verfassungsurkunde in dem Sinne 
herbeizuführen, daß das verfassungsmäßige Recht jährlicher Finanzperioden beseitigt und 
der Ausgabeetat in einen ordentlichen und außerordentlichen geteilt werde, von 
welchen dann der erstere für drei Jahre und nur der letztere alljährlich festzustellen 
sei. Diese Bestrebungen sind indes erfolglos geblieben.? 
4. Der Art. 99 der Verfassungsurkunde bestimmt, daß alle Einnahmen und Aus- 
  
1 In diesem Sinne hat sich auch die Budget- 
komm. des A. H. in ihrem Bericht v. 16. Mai 
1863 (Drucks. des A. H. 1863, Nr. 165, und 
Stenogr. Ber. desselben 1863, Bd. V, S. 1136 ff.) 
ausgesprochen, ohne daß es jedoch zu einer Ent- 
scheidung des Plenums hierüber gekommen ist. 
Hervorgerufen wurde die Frage durch den von 
der Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwurf, 
betr. die Feststellung einer Nachweisung der aus 
den ÜUberschüssen des Jahres 1862 zu bestreiten- 
den außerordentlichen Staatsausgaben für das 
Jahr 1863 (Stenogr. Ber. a. a. O., S. 828 ff.), 
welcher durch das Gesetz zu einer von dem all- 
gemeinen Staatshaushaltsetat abgesonderten Be- 
handlung gelangen sollte, was die Budgetkom- 
mission für unstatthaft erklärte. 
2 Aus Veranlassung von Anträgen der Ab- 
geordn. v. Zander und Graf v. Alvensleben 
hatte die 1. K. im Jahre 1852 beschlossen, den 
Art. 99 der Verf. Urk. dahin abzuändern, daß 
der Ausgabeetat in den ordentlichen, welcher 
die zu dauernden Staatszwecken erforderlichen 
Bedürfnisse umfaßt, und in den außerordent- 
lichen zerfallen solle, von denen jener im ersten 
Jahre der nächsten Legislaturperiode durch ein 
Gesetz festzustellen, welches dann so lange in 
Geltung zu bleiben habe, bis es im Wege der 
ordentlichen Gesetzgebung abgeändert werde, wo- 
gegen dann nur der außerordentliche Aus- 
gabeetat der alljährlichen Feststellung durch 
ein Gesetz vorzubehalten sei. Indes wurde diese 
Abänderung des Art. 99 von der 2. K. abge- 
lehnt (vgl. Drucks. der 1. K. 1851—52, Nr. 61, 
64 u. 102, und Drucks. der 2. K. 1851—52, 
Nr. 248, und Stenogr. Ber. der 1. K. 1851—52, 
S. 515 ff., und der 2. K. 1851—52, S. 205, 
218 ff. u. 1179 ff., desgl. v. Rönne, Verf. Urk., 
Nachtrag zu Art. 62 u. 99, S. 240 — 247). 
In der Sitz. Per. 1853—54 wurde in der 
  
1. K. abermals ein Antrag gestellt und von 
dieser auch angenommen, wonach der IArt. 99 
der Verf. Urk. dahin abgeändert werden sollte, 
daß der Staatshaushaltsetat in einen ordent- 
lichen und außerordentlichen zu zerlegen (vgl. 
Drucks. der 1. K. 1853—54, Nr. 119 u. 184, 
und Stenogr. Ber. derselben 1853—54, Bd. II, 
S. 445—455 u. Bd. III, Anl. Nr. 48, S. 357 
—358). Diesmal gelangte indes der Gegen- 
stand in der 2. K. gar nicht zur Beratung. Im 
Jahre 1855 wurden wiederum ähnliche Anträge 
in der 1. K. eingebracht, welche diesmal beschloß, 
die Staatsregierung zu ersuchen, den Kammern 
einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher bezwecke, 
den Art. 99 dahin zu ändern, daß der Ausgabe- 
etat in den ordentlichen und außerordentlichen zu 
zerteilen, und daß zur Abänderung des ersteren 
die ÜUbereinstimmung der drei Faktoren der Ge- 
setzgebung erforderlich, bis dahin aber die Regie- 
rung berechtigt sein solle, die darin enthaltenen 
Ausgaben fortzuleisten (vgl. Drucks. der 1. K. 
1854—55, Nr. 171, 172 u. 216, und Stenogr. 
Ber. derselben 1854—55, Bd. I, S. 557—560 
und Bd. III, S. 332—334). Die Staatsregie- 
rung hat indes diesem Antrage keine Folge ge- 
geben. Endlich wurden in der Sitz. Per. von 
1855—56 dieselben Anträge im H. H. (Drucks. 
Bd. 1I, Nr. 37 u. 38) erneuert, und zwar dahin 
gestellt, die Staatsregierung zu ersuchen, den 
Kammern einen Gesetzentwurf vorzulegen, wel- 
cher die gewünschte Abänderung des Art. 99 aus- 
spreche. Der Ber. der betr. Komm. (Drucks. des 
H. H. 1855—56, Bd. II, Nr. 90, und Stenogr. 
Ber. desselben 1855—56, Bd. II, S. 80—82) 
beantragte indes die Ablehnung dieser Anträge; 
statt dessen ist jedoch das H. H. (in der 14. Sitz. 
v. 4. März 1856) denselben beigetreten, obgleich 
die Staatsregierung sich wiederholt dagegen er- 
klärt hatte (vgl. Stenogr. Ber. des H. H. 1855 
8W55, Bd. I, S. 150—156).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.