4 Die Gesetzgebung. (§. 109.)
Ob dieselben noch einer besonderen Staatsgenehmigung bedürfen, bestimmt sich nach den
Vorschriften der Spezialgesetzgebung. So bedürfen in Preußen Provinzial= und Kreis-
statuten der landesherrlichen Genehmigung, Reglements der Genehmigung der zuständigen
Ressortminister.?
Demnach versteht es sich von selbst, daß autonome Bestimmungen, insbesondere
der öffentlichen Korporationen, durch Gesetze im öffentlichen Interesse abgeändert werden
können.
V. Die Gesetze und Verordnungen enthalten gewöhnlich allgemeine, alle Staats-
angehörigen betreffende und verpflichtende Normen. Die Staatsgewalt kann indes auch
spezielle Verfügungen erlassen, welche eine bestimmte Personenklasse oder Person, sei es eine
physische oder eine juristische, verpflichten oder berechtigen 3; man bezeichnet eine solche
Verfügung als lex Specialis oder privilegium, welche sich von einem allgemeinen
Gesetze durch die Besonderheit der dadurch begründeten Verpflichtung oder Berechtigung
unterscheidet. Von der bloßen Anwendung des bestehenden Gesetzes auf einen darunter
gehörigen Fall aber unterscheidet sie sich dadurch, daß bei ihr, ebenso wie beim Erlaß
eines allgemeinen Gesetzes, eine normgebende, Recht schaffende Tätigkeit der Staatsgewalt
eintritt. Daher ist der Erlaß einer lex Specialis, insofern er lediglich von dem Er-
messen des Staatsoberhauptes abhängig ist, ein Akt des freien Entschlusses des Staats-
oberhauptes, welches indes dabei die Schranken der Verfassung und der allgemeinen Ge-
setzgebung innezuhalten verpflichtet ist und insoweit hierbei an die Zustimmung der
übrigen Faktoren der Gesetzgebung gebunden sein kann.
In gewissem Sinne gehören hierhin die Statuten der autonomen Verbände oder
Vereine, welche ihre verbindliche Kraft erst durch landesherrliche Bestätigung er-
halten. Es ist in betreff solcher Statuten die Frage entstanden, inwieweit bei ihrem
Erlaß die Kammern mitzuwirken haben. Das Herrenhaus hat die Ansicht ausgesprochen,
bezüglich der Errichtung solcher Statuten müßten die Beteiligten im Falle ihres Wider-
spruches gegen die beabsichtigten Festsetzungen des Statuts das Recht haben, zu verlangen,
daß nur durch Gesetz — mithin unter Teilnahme sämtlicher Faktoren der gesetzgebenden
Gewalt — über ihr Eigentum verfügt werden und ihnen Lasten auferlegt werden dürften;
seit Erlaß der Verfassungsurkunde genüge nicht mehr, daß die Teilnehmer nur gehört und
dann dasjenige, was den Verwaltungsbehörden angemessen erscheine, angeordnet werde und
die königliche Sanktion ohne Teilnahme des Landtages erhalte. Demgemäß hat das
Herrenhaus von der Staatsregierung die Vorlegung eines Gesetzentwurfes verlangt, durch
welchen, in Abänderung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften, die Vorlegung der Sta-
tuten über neu zu bildende Verbände und Genossenschaften der gedachten Gattungen und
über die Abänderung solcher schon bestehenden Statuten, abgesehen von der schon gesetz-
lich bestehenden Anhörung der Interessenten, vor der definitiven landesherrlichen Be-
stätigung bei den beiden Häusern des Landtages angeordnet werde." Die Staatsregie-
rung hat jedoch der Ansicht des Herrenhauses widersprochen und die Behauptung auf-
gestellt, daß es auch seit Erlaß der Verfassungsurkunde keineswegs erforderlich sei, für
die Errichtung derartiger Genossenschaftsstatuten den Weg der gewöhnlichen Gesetzgebung
einzuhalten. Die vor der Verfassungsurkunde erlassene Gesetzgebung habe ausschließlich
dem Landesherrn die Sanktion solcher Statuten beigelegt (ohne die Anhörung der
Provinziallandtage und des Staatsrats zu fordern), und auch der Erlaß der Verfassungs-
urkunde könne keinen Unterschied in der Behandlung dieser Materie begründen.
4 Das A. L. R., Einl., §. 2, bestimmt, daß die
Statuten einzelner Gemeinheiten und Gesellschaf-
ten nur durch die landesherrliche Bestätigung die
Kraft der Gesetze erhalten. In betreff des Er-
fordernisses der Genehmigung des Staates zur
Abänderung oder Aufhebung der Lrundotrial
sungen der Korporationen vgl. A. L. R., II,
§88§. 26—32; Schwartz, Verf. Urk., S. 200 f.
2 Vgl. Prov. O. f. d. östl. Prov., §. 34,
Nr. 1; Kr. O. f. d. östl. Prov., §. 20, Nr. 1,
176. Dazu Schön, Recht der Kommunalber=
bände, S. 408, 459.
s Vgl. Schmitthenner, Ideales St. R.,
S. 304; Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl.,
Bd. II, S. 187.
4 Beschl. des H. H. vom 22. Mai 1860, Druck-
sachen des H. H. 1860, Nr. 136 u. 176 und
Stenogr. Ber. 1860, Bd. II, S. 742 ff. u. Bd. III,
S. 418 ff., Anlage Nr. 43 zur 37. Sitzung.