Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. (S. 118.) 133
Landtages und der Staatsregierung wieder zur Vereinbarung gelangt und publiziert
worden, für die Jahre 1868 und 1869 jedoch abermals nicht vor dem Beginne des
betreffenden Etatsjahres. Die Staatshaushaltsgesetze v. 24. Febr. 18681 und v.
1. Febr. 1869 2 betreffend die Feststellung des Haushaltsetats für 1868 bzw. 1869
enthalten jedoch (§. 4) die Bestimmung, „daß die bis zur gesetzlichen Feststellung des
Staatshaushaltsetats innerhalb der Grenzen desselben geleisteten Ausgaben nachträglich
genehmigt werden“. 5
2. Diese Darstellung der Entstehung des Konfliktes über das Budgetrecht und
seiner schließlichen Erledigung gewährt ein Bild des Streites über die Auslegung der
dabei in Betracht kommenden Bestimmungen der Verfassungsurkunde. Die Thronrede
v. 9. Febr. 1867 erkennt es dankend an, „daß die Landesvertretung durch die Er-
teilung der Indemnität für die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Finanzverwaltung
der letzten Jahre (1862— 1865) die Hand zur Ausgleichung des Prinzipienstreites ge-
boten habe, welcher seit Jahren das Zusammenwirken der Staatsregierung mit der
Landesvertretung gehemmt hatte“; sie spricht zugleich die Zuversicht aus, „daß die ge-
wonnenen Erfahrungen und ein allseitiges richtiges Verständnis der Grundbedingungen
des Verfassungslebens dazu helfen werde, die Erneuerung ähnlicher Zustände in der Zu-
kunft zu verhüten"““. Es wird also nur die Hoffnung ausgesprochen, daß der vorläufig
ausgeglichene Prinzipienstreit sich nicht erneuern werde, die Erfüllung dieser Hoffnung
jedoch von der Voraussetzung des allseitig richtigen Verständnisses der Grundbedingungen
des Verfassungslebens abhängig gemacht. Desto wichtiger bleibt daher die Frage, welches
die verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung bezüglich des streitig gewordenen
Budgetrechtes sind.
Durch die Bestimmung des Art. 99 der Verfassungsurkunde, daß der jährlich auf-
zustellende Staatshaushaltsetat durch ein „Gesetz“ festgestellt werden soll, wird selbst-
verständlich zunächst unbedingt ausgeschlossen, daß an die Stelle des „Gesetzes“ eine
„königliche Verordnung“ trete. Nicht minder ist aber auch durch die Bestimmung, daß
1 G. S. 1868, S. 93.
2 G. S. 1869, S. 217.
* Über die Bewilligung eines vorläufigen
Kredits in dem Jahre 1875 und 1876, wo der
Staatshaushaltsetat ebenfalls nicht vor Beginn
des betr. Jahres zustande gekommen war, vogl.
die Ges. v. 4. Juni 1874 (G. S. 1874, S.
240) und v. 30. Juni 1875 (G. S. 1875, S. 371).
4 Vgl. Stenogr. Ber. des A. H. 1866—67,
Bd. III, S. 2007.
5 Wenn also der königl. Erlaß v. 5. Juli 1865
(Königl. Preuß. Staatsanzeiger 1865, Nr. 167,
S. 2289), welcher von dem gesamten damaligen
Staatsministerium gegengezeichnet ist, anordnete,
„daß in Ermangelung eines Gesetzes über den
Staatshaushaltsetat des Jahres 1865 die von
dem Staatsministerium überreichte Nachweisung
der für das Jahr 1865 zu erwartenden Staats-
einnahmen und der zu leistenden Ausgaben als
Richtschnur für die Verwaltung dienen solle",
so stand dies unzweifelhaft mit Art. 99 der Verf.
Urk. in Widerspruch. Dies wurde auch später
in den Motiven des Ges. v. 14. Sept. 1866,
betr. die Erteilung der Indemnität usw. aner-
kannt, welche ausdrücklich aussprechen, „daß die
von der Regierung seit dem Jahre 1862 ge-
troffenen Verfügungen über die Staatsmittel der
gesetzlichen Grundlage entbehren, welche
nach Art. 99 der Verf. Urk. allein in dem jähr-
lich festzustellenden Gesetze über den Staatshaus-
halt zu finden sei“ (vgl. Stenogr. Ber. des A. H.
1866—67, Anl. Bd. I, Aktenst. Nr. 10, S. 33).
Auch die königl. Thronrede v. 5. Aug. 1866
(a. a. O., Bd. I, S. 2) hat dieses Anerkenntnis
ausdrücklich wiederholt. Insoweit muß v. Rönne
zugestimmt werden. v. Rönne fährt sodann fort:
„Dagegen empfiehlt Laband (Das Budgetrecht
nach den Bestimmungen der preuß. Verf. Urk.
usw., S. 82—83), zu den hiernach von der
Staatsregierung selbst und auch von der Krone
als verfassungswidrig gekennzeichneten Grund-
sätzen des Staatsministerialbeschlusses v. 16. Dez.
1850 über die Finanzverwaltung ohne Etats-
gesetz zurückzukehren. Er bezeichnet die in diesem
Staatsministerialbeschlusse niedergelegten Grund-
sätze als das Erzeugnis des adurch das politische
Bedürfnis geschärften und geläuterten sicheren
Blickes?, indem er hinzufügt, daß jene Grund-
sätze — obgleich auch die Krone dieselben aus-
drücklich perhorresziert hat — anicht nur dem
unabweisbaren praktischen Bedürfnisse, sondern
im wesentlichen auch den theoretischen Sätzen,
welche sich aus der wahren Natur des Budget-
rechtes ergeben, entsprechen?.“ Dazu ist zu be-
merken: die Krone hat unumwunden anerkannt,
daß der Staatshaushalt nach der Verfassung nur
durch Gesetz zustande kommen kann. Fehlt
dieses Gesetz, so sind formellrechtlich alle Aus-
gaben ohne rechtliche Grundlage. In der Zu-
stimmung zu diesem Gesetz aber ist die Krone
staatsrechtlich genau ebensofrei wie der Landtag.
Kann die Krone den Beschlüssen des Land-
tages nicht zustimmen, so kann das Gesetz nicht
zustande kommen. Der Staat aber kann nicht
stillstehen. Durch dieses oberste Daseinsgebot des
Staates rechtfertigt sich die Theorie Labands