Begriff und allgemeine Grundsätze. (8. 109.) 5
Was insbesondere die landesherrliche Bestätigung der aus der Autonomie der
Korporationen hervorgegangenen Statuten betrifft, so sind solche Statuten keine eigent-
lichen Akte der Gesetzgebung, sondern es entspringt hier das landesherrliche Bestätigungs-
recht lediglich aus dem Oberaufsichtsrechte des Staatsoberhauptes, welches vor der Ver-
kündigung des Statuts alle Beteiligten zu hören und deren autonome Beschlüsse nur zu
sanktionieren hat.1
Hiervon verschieden ist das Privileg im eigentlichen Sinne:, nämlich die von
der Staatsgewalt ausgehende 3 Begründung oder Anerkennung eines besonderen, von der
allgemeinen Rechtsregel, dem jus commune, abweichenden Rechtszustandes" eines
bestimmten Individuums oder einer einzelnen Personenklasse in gewissen Verhältnissen
und Beziehungen zum Staate und zu den übrigen Staatsgenossen.
Das Allgemeine Landrecht erklärt in §. 7, Tl. II, Tit. 13 das Recht der Ver-
leihung von Privilegien für ein ausschließliches Recht des Staatsoberhauptes."* Die
1 Über die Mängel des zurzeit bestehenden werde, ohne daß zugleich eine subjektive Berechti-
Verfahrens bezüglich des Erlasses von Statuten] gung oder Begünstigung begründet werde. Eine
der öffentlichen Unterrichts= und Bildungsanstal= solche Anordnung sei ein Privilegium im echten
ten vgl. die Rede des Abgeordneten Virchomw Sinne des Wortes und eine wirkliche lex spe-
in der Sitzung des A. H. vom 21. Jan. 1879 cialis. Vgl. hierüber auch G. Meyer in Hirths
(Stenogr. Ber. des A. H. 1878— 79, Bd. II, Annalen, 1878, S. 370 und St. R., §. 178, u.
S. 773). Bornhak, I1, S. 565 f., der doch m. E. die Be-
2 Vgl. im allgemeinen über die Lehre von den deutung der Privilegien im heutigen Recht unter-
Privilegien: Gebauer, Singularia de privi- schätzt; Hinschius-Kahl, Art. Privileg, in
legiis (Göttingen 1749); Lobethan, Abhand= v. Stengel-Fleischmanns Wörterb., III, S. 196 ff.
lungen über die Lehre von Privilegien usp. und die dort angegebene Literatur, sowie Steinitz,
(Pirna 1786); Hufeland, Veränderte allge= Dispensationsbegriff und Dispensationsgewalt,
meine Ansicht der kehre von den Privilegien (in 1901.
dessen eigentümlichem Geist des Röm. Rechts usw., 8 Die Entstehung des Privilegiums in dem
Gießen 1815, Tl. I, Nr. 3, S. 209 ff.); v. Ger= hier gedachten — ist allemal ze einseitiger
ber, Privilegienhoheit und Dispensationsgewalt Akt der Verleihung; indes kann dem Akte der Ver-
im modernen Staate (Ztschr. f. d. ges. Staats= leihung eine vertragsmäßige Verhandlung und Ver-
wiss., Bd. XXVII, S. 430 ff. und ges. jur. Ab-|Hpflichtung vorausgegangen sein; auch kann eine
handl., S. 470 ff.) v. Rönne, 4. Aufl., 1,Gegenleistung des Privilegierten stattgefunden
S. 351, hatte das Privileg als Anwendungsfall haben oder die Verleihung auf bloßer Freigebig-
der lex specialis erklärt. Der Auffassung des keit beruhen (privilegia onerosa und gratuita).
Privilegiums im eigentlichen Sinne als einer (Vgl. A. L. RN., Einl., §§. 56, 57, 70.)
lex specialis wird widerspro . Ger .- «--""-.-
(Grundzüge des 73 en n „Darin Uegt der Unterschied des Brivilegiumg
Note 5), welcher die Erteilung solcher Privilegien. m eigen ichen Sinne von der Dispensation un
nicht als einen Akt der Gesetzgebung, sondern Begnadigung, welche lediglich eine ausnahms-
der Verwaltung aufgefaßt wissen will. Dieser weile Nachsicht im einzelnen Falle zum Gegen-
Ansicht v. Gerbers schließt sich auch Laband ünde haben. « .-».
(St. R. des D. R., Bd. II, §. 56, S. 3) insoweit Das Subjekt, mit welchem ein Privilegium
an, als er die Erteilung eines Privilegiums in verbunden ist, kann eine (physische oder juristische)
der Mehrzahl der Fälle für einen Akt der Staats= Person (persönliches Privilegium) oder eine Sache
verwaltung innerhalb des durch die Gesetze (reales Privilegium) sein. Bei Realprivilegien
abgegrenzten Gebietes, auf welchem die Hand= ist der jedesmalige Besitzer der Sache das be-
lungsfreiheit der Regierung ihren Spielraum hat, rechtigte Subjekt.
erachtet, es jedoch für unrichtig hält, das Privi- 5 Uber die Privilegiengewalt des Kaisers und
legium als begrifflichen Gegensatz des Gesetzes der Landesherren zur Zeit des Deutschen Reiches
hinzustellen und zu behaupten, daß die Erteilung und über die dabei zur Anwendung gebrachten
eines Privilegiums immer eine Verwaltungs= Grundsätze vgl. Zachariä, D. St. u. B. R.,
handlung sei; es sei vielmehr beides möglich; B. Aufl., Bd. II, §. 164, S. 189 u. Zöpfl, in
ein Privilegium könne bald durch Rechtsgeschäft Welckers u. Nottecks Staatslexikon, 2. Aufl., Art.
(Verwaltungsakt), bald durch Gesetzgebungsakt Privilegien, Bd. XI, S. 156 ff.; vgl. Lette in
(lex specialis) begründet sein. In allen Fällen, der 3. Aufl. des Staatslexikons, Art. Privilegien,
in welchen bestehende Rechtsgrundsätze auf= 9d. XII, S. 167 ff. Seit Auflösung des Reichs-
gehoben oder suspendiert werden sollen, ohne daß verbandes stand den Oberhäuptern deutscher Staa-
der Regierung eine allgemeine Ermächtigung ten die Privilegjenhoheit unbedingt kraft der Sou-
hierzu durch einen Rechtssatz erteilt worden ist, veränität zu. Uber die Mitwirkung der Volksver-
bedürfe es einer lex specialis. Insbesondere tretung an der Ausübung dieses Rechtes bestanden
sei es auch möglich, daß für einen einzelnen indes abweichende Ansichten (uvgl. Zachariä u.
konkreten Fall ein Rechtssatz angeordnet oder eine Zöpfl a. a. O., desgl. Schmitthenner, Ideales
sonst geltende allgemeine Rechtsregel abgeändert St. R., S. 477).