6 Die Gesetzgebung. (8. 109.)
Verfassungsurkunde enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen hierüber. Da indes das:
Recht zur Erteilung von Privilegien im eigentlichen Sinne nichts anderes ist, als ein
Ausfluß des Hoheitsrechts der Gesetzgebung, nämlich das Recht des Gesetzgebers, Aus-
nahmen von der allgemeinen Rechtsregel zugunsten bestimmter Individuen oder Personen-
klassen zu verfügen 1, so muß angenommen werden, daß nach den Grundsätzen der Ver-
fassung solche Privilegien, mit denen eine allgemeine Beschränkung der natürlichen Freiheit,
ein Eingriff in die Rechte der Persönlichkeit oder des Eigentums anderer Staatsgenossen
(also insofern eine lex singularis) verbunden ist, nicht anders als unter Mitwirkung
der Kammern im ordentlichen Wege der Gesetzgebung gemäß Art. 62 der Verfassungs-
urkunde erteilt werden können.? Was dagegen die vor dem Erlaß der Verfassungs-
urkunde von dem Staatsoberhaupt erteilten Privilegien betrifft, so ist deren Rechtmäßigkeit
lediglich nach den bis dahin bestandenen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen.? In der
Regel wird die Erteilung von Privilegien durch spezialgesetzliche Vorschriften geregelt sein.
1 Der Gegenstand der Privilegien ist so unbeschränkt als die Gesetzgebung selbst.
Als besonders häufige Privilegien mögen folgende Gruppen erwähnt werden:
a) Verleihung von Rechten, die von Privatpersonen nur kraft einer solchen Ver-
leihung ausgeübt werden können (Hoheitsrechte) ;
b) dauernde Befreiung von gewissen öffentlichen Lasten (Steuern und Diensten) 5,
oder Exemtion von einer die Regel bildenden Staatseinrichtung 5;
) Anerkennung einer (absolut oder im Verhältnisse zu allen nicht auf gleiche Weise
Privilegierten) ausschließlichen Befugnis zur Vornahme von Handlungen, welche außer-
dem auch anderen Personen allgemein zustehen würden 7.
An sich begründet jedes gültig erteilte Privilegium ein wohlerworbenes Recht
für den Privilegierten im Verhältnisse sowohl zur Staatsgewalt als zu anderen Staats-
genossen.
1 Vgl. auch Klüber, Offtl. R. des D. B.,
S. 709. So drückt sich auch der §. 7, A. L. R., II,
13, aus. Hierzu Hubrich, Verwaltungsarchiv,
Bd. XVI, S. 394 ff., 459 f.
2 Vgl. Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl.,
Bd. II S. 190; Klüber, Offtl. R. des D. B.,
S ruũ; Arndt, Verf. Urk., S. 257; Born-
hat, J, S. 565; G. Meyer-Anschütz, S. 652;
Hubrich, Hirths Annalen 1907, S. 82.
3 Dies folgt auch aus dem Grundsatze des
Art. 109 der Verf. Urk. Sie konnten also (nach
§. 7, A. L. R., II, 13) von dem Staatsoberhaupte
stets einseitig erlassen werden und gelten auch im
konstitutionellen Staate fort, falls nicht eine
anderweitige gesetzliche Regelung stattgefunden hat.
4 Insoweit solche Verleihungen nach den Grund-
sätzen der Verf. Urk. überhaupt noch stattfinden
können, wobei insbesondere auch die Grundsätze
des Setzt abgeänderten) Art. 42 in Betracht kom-
men. Ücber solche Verleihungen vgl. A. L. R., II,
14, 88. 24—34.
5 Nach Art. 101 der Verf. Urk. können indes
in betreff der Steuern keine Bevorzugun-
gen eingeführt werden. Dieser Grundsatz ist je-
doch nicht strenge festgehalten worden. Hinsicht-
lich der allgemeinen Wehrpflicht hat das R. G.
vom 9. Nov. 1867 (B. G. Bl. 1867, S. 131) in
§. 1 die Befreiung der Mitglieder regierender
Häuser und der Mitglieder der mediatisierten,
vormals reichsständischen und derjenigen Häuser,
welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch
Verträge zugesichert ist oder auf Grund beson-
derer Rechtstitel zusteht — also ein Privilegium —,
aufrechterhalten.
s Dahin gehören z. B. die mit dem §. 9 des
Ges. vom 2. Jan. 1849 (G. S. 1849, S. 1)
an sich nicht vereinbaren Verleihungen des exi-
mierten Gerichtsstandes an die Mitglieder der
königl. Familie und der Mitglieder der fürstl.
Familie Hohenzollern (Ges. vom 26. April 1851,
Art. 3. Vgl. Einf. G. z. G. V. G. vom 27. Jan--
1877, §. 5; Einf. G. z. Z. P. O. vom 30. Jan.
1877, §. 5; Einf. G. z. St. P. O. vom 1. Febr.
1877, §. 4; Pr. A. G. z. G. V. G., §. 18).
* Dahin gehört die Verleihung von Gewerbe-
und Handelsprivileglen und Monopolen, welche
niemals anders als durch ein wirkliches Gesetz
begründet werden können, weil dadurch allen
Staatsangehörigen, mit Ausnahme der Privile-
gierten, die Vornahme gewisser Handlungen unter-
sagt wird, so daß also das Privilegium zugleich
ein allgemeines Verbot einschließt. v. Rönne
hatte (4. Aufl., Bd. I, S. 352, Anm. 8) auch
den Patent= und Urheberschutz unter die „Privi-
legien“ gerechnet. Dem kann nicht beigepflichtet
werden. S. über Patentschutz Laband, St. R.s, III,.
S. 24 fl. und die dort angegebene Spezialliteratur.
s UÜbrigens wird jedes Privilegium stillschwei-
gend auf Recht oder Unrecht, unbeschadet der
Rechte eines besser Berechtigten, erteilt; daher
bleibt dem besser Berechtigten die rechtliche Aus-
führung seines bessern Rechtes unbenommen. In.
diesem Falle muß der neu Privilegierte soweit zu-
rückstehen, daß der besser Berechtigte in seinem
Rechte verbleibt (A. L. R., Einl., 8§. 68 u. 95, u.
Entsch. des Ob. Trib., Bd. XVIII, S. 331). Hat-
das Recht des älter Berechtigten nicht die Eigen-
schaft der Ausschließung, so soll doch das neue-
Privilegium im Zweifel so erklärt werden, wie-
der Dritte am wenigsten Nachteil erleidet. Hier-