Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

6 Die Gesetzgebung. (8. 109.) 
Verfassungsurkunde enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen hierüber. Da indes das: 
Recht zur Erteilung von Privilegien im eigentlichen Sinne nichts anderes ist, als ein 
Ausfluß des Hoheitsrechts der Gesetzgebung, nämlich das Recht des Gesetzgebers, Aus- 
nahmen von der allgemeinen Rechtsregel zugunsten bestimmter Individuen oder Personen- 
klassen zu verfügen 1, so muß angenommen werden, daß nach den Grundsätzen der Ver- 
fassung solche Privilegien, mit denen eine allgemeine Beschränkung der natürlichen Freiheit, 
ein Eingriff in die Rechte der Persönlichkeit oder des Eigentums anderer Staatsgenossen 
(also insofern eine lex singularis) verbunden ist, nicht anders als unter Mitwirkung 
der Kammern im ordentlichen Wege der Gesetzgebung gemäß Art. 62 der Verfassungs- 
urkunde erteilt werden können.? Was dagegen die vor dem Erlaß der Verfassungs- 
urkunde von dem Staatsoberhaupt erteilten Privilegien betrifft, so ist deren Rechtmäßigkeit 
lediglich nach den bis dahin bestandenen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen.? In der 
Regel wird die Erteilung von Privilegien durch spezialgesetzliche Vorschriften geregelt sein. 
1 Der Gegenstand der Privilegien ist so unbeschränkt als die Gesetzgebung selbst. 
Als besonders häufige Privilegien mögen folgende Gruppen erwähnt werden: 
a) Verleihung von Rechten, die von Privatpersonen nur kraft einer solchen Ver- 
leihung ausgeübt werden können (Hoheitsrechte) ; 
b) dauernde Befreiung von gewissen öffentlichen Lasten (Steuern und Diensten) 5, 
oder Exemtion von einer die Regel bildenden Staatseinrichtung 5; 
) Anerkennung einer (absolut oder im Verhältnisse zu allen nicht auf gleiche Weise 
Privilegierten) ausschließlichen Befugnis zur Vornahme von Handlungen, welche außer- 
dem auch anderen Personen allgemein zustehen würden 7. 
An sich begründet jedes gültig erteilte Privilegium ein wohlerworbenes Recht 
für den Privilegierten im Verhältnisse sowohl zur Staatsgewalt als zu anderen Staats- 
genossen. 
  
1 Vgl. auch Klüber, Offtl. R. des D. B., 
S. 709. So drückt sich auch der §. 7, A. L. R., II, 
13, aus. Hierzu Hubrich, Verwaltungsarchiv, 
Bd. XVI, S. 394 ff., 459 f. 
2 Vgl. Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl., 
Bd. II S. 190; Klüber, Offtl. R. des D. B., 
S ruũ; Arndt, Verf. Urk., S. 257; Born- 
hat, J, S. 565; G. Meyer-Anschütz, S. 652; 
Hubrich, Hirths Annalen 1907, S. 82. 
3 Dies folgt auch aus dem Grundsatze des 
Art. 109 der Verf. Urk. Sie konnten also (nach 
§. 7, A. L. R., II, 13) von dem Staatsoberhaupte 
stets einseitig erlassen werden und gelten auch im 
konstitutionellen Staate fort, falls nicht eine 
anderweitige gesetzliche Regelung stattgefunden hat. 
4 Insoweit solche Verleihungen nach den Grund- 
sätzen der Verf. Urk. überhaupt noch stattfinden 
können, wobei insbesondere auch die Grundsätze 
des Setzt abgeänderten) Art. 42 in Betracht kom- 
men. Ücber solche Verleihungen vgl. A. L. R., II, 
14, 88. 24—34. 
5 Nach Art. 101 der Verf. Urk. können indes 
in betreff der Steuern keine Bevorzugun- 
gen eingeführt werden. Dieser Grundsatz ist je- 
doch nicht strenge festgehalten worden. Hinsicht- 
lich der allgemeinen Wehrpflicht hat das R. G. 
vom 9. Nov. 1867 (B. G. Bl. 1867, S. 131) in 
§. 1 die Befreiung der Mitglieder regierender 
Häuser und der Mitglieder der mediatisierten, 
vormals reichsständischen und derjenigen Häuser, 
welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch 
Verträge zugesichert ist oder auf Grund beson- 
derer Rechtstitel zusteht — also ein Privilegium —, 
aufrechterhalten. 
s Dahin gehören z. B. die mit dem §. 9 des 
  
Ges. vom 2. Jan. 1849 (G. S. 1849, S. 1) 
an sich nicht vereinbaren Verleihungen des exi- 
mierten Gerichtsstandes an die Mitglieder der 
königl. Familie und der Mitglieder der fürstl. 
Familie Hohenzollern (Ges. vom 26. April 1851, 
Art. 3. Vgl. Einf. G. z. G. V. G. vom 27. Jan-- 
1877, §. 5; Einf. G. z. Z. P. O. vom 30. Jan. 
1877, §. 5; Einf. G. z. St. P. O. vom 1. Febr. 
1877, §. 4; Pr. A. G. z. G. V. G., §. 18). 
* Dahin gehört die Verleihung von Gewerbe- 
und Handelsprivileglen und Monopolen, welche 
niemals anders als durch ein wirkliches Gesetz 
begründet werden können, weil dadurch allen 
Staatsangehörigen, mit Ausnahme der Privile- 
gierten, die Vornahme gewisser Handlungen unter- 
sagt wird, so daß also das Privilegium zugleich 
ein allgemeines Verbot einschließt. v. Rönne 
hatte (4. Aufl., Bd. I, S. 352, Anm. 8) auch 
den Patent= und Urheberschutz unter die „Privi- 
legien“ gerechnet. Dem kann nicht beigepflichtet 
werden. S. über Patentschutz Laband, St. R.s, III,. 
S. 24 fl. und die dort angegebene Spezialliteratur. 
s UÜbrigens wird jedes Privilegium stillschwei- 
gend auf Recht oder Unrecht, unbeschadet der 
Rechte eines besser Berechtigten, erteilt; daher 
bleibt dem besser Berechtigten die rechtliche Aus- 
führung seines bessern Rechtes unbenommen. In. 
diesem Falle muß der neu Privilegierte soweit zu- 
rückstehen, daß der besser Berechtigte in seinem 
Rechte verbleibt (A. L. R., Einl., 8§. 68 u. 95, u. 
Entsch. des Ob. Trib., Bd. XVIII, S. 331). Hat- 
das Recht des älter Berechtigten nicht die Eigen- 
schaft der Ausschließung, so soll doch das neue- 
Privilegium im Zweifel so erklärt werden, wie- 
der Dritte am wenigsten Nachteil erleidet. Hier-
	        
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