Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

156 Die Gesetzgebung. (8. 118.) 
nungen hat sodann die Oberrechnungskammer gemäß Verfassungsurkunde Art. 104, Abs. 2 
die allgemeine Rechnung über den Staatshaushalt festzustellen, die verfassungsgemäß dem 
Landtage vorgelegt werden muß. Vor der Einsendung der Kassenrechnungen an die Ober— 
rechnungskammer hat durch die Behörden, die die Rechnung legen, eine genaue Vor— 
prüfung der Rechnungen, die „Abnahme“, zu erfolgen; diese bezieht sich sowohl auf das 
Rechnungsergebnis wie den sonstigen formellen und materiellen Inhalt und es sind der 
Rechnung bei dieser Abnahme alle erforderlichen Erläuterungen, Bemerkungen und Be- 
scheinigungen beizufügen; über den ganzen Vorgang der Abnahme ist ein Protokoll auf- 
zunehmen und mit der Rechnung an die Oberrechnungskammer einzureichen (8. 51 des 
Gesetzes v. 11. Mai 1898). Dem Landtag ist mit der allgemeinen Rechnung eine 
Spezialrechnung über jeden Verwaltungszweig, der seinen besonderen Etat hat, vorzu- 
legen, in dem die Einnahmen und Ausgaben in derselben Weise verrechnet werden, wie 
sie im Etat angesetzt sind. In einer besonderen Spalte sind sowohl in der allgemeinen 
Rechnung wie in den Spezialrechnungen diejenigen Posten der Einnahmen und Ausgaben 
nachzuweisen, die das Gesetz (§. 53) einzeln aufzählt (8§§. 52, 53); außerdem sind in 
der allgemeinen Rechnung nachzuweisen: 1. der aus der vorigen Rechnung übernommene 
und der in die folgende Rechnung übergehende Kassenbestand, 2. die sog. Betriebsfonds 
(§. 54). Die Ausführung dieser gesetzlichen Vorschriften, insbesondere derjenigen des 
8. 53 ergibt ein vollständig genaues Bild der Staatsfinanzen auf Grund des Jahres- 
etats und liefert damit dem Landtage die erforderlichen Unterlagen für den der Verfassung 
gemäß den einzelnen Ministern für ihren Verwaltungszweig zu erteilenden Entlastungs- 
beschluß. Damit ist zugleich der Voranschlag des Etatsgesetzes rechtlich umgewandelt in 
feststehende Rechnungsposten und dadurch jedes Bedenken gegen den materiellen Rechts- 
charakter des Budgets beseitigt. Das Gesetz v. 11. Mai 1898 hat somit den 
Rechtscharakter des Budgets als eines materiellen Gesetzes völlig außer 
Zweifel gestellt. » .- 
Die allgemeine Rechnung, nebst einer Ubersicht der vorgekommenen Etatsüberschreitungen 
und der der nachträglichen Genehmigung bedürfenden außeretatsmäßigen Ausgaben, mit 
den Spezialrechnungen der einzelnen Verwaltungen wird sodann unter Beifügung der vor- 
geschriebenen Bemerkungen der Oberrechnungskammer den Kammern zur Entlastung der 
Staatsregierung vorgelegt. Die Kammern lassen diese Rechnung durch ihre Budget- 
kommission prüfen, und auf deren Bericht beschließen demnächst die Kammern über die 
Erteilung oder Versagung der Entlastung an die Staatsregierung, welche hiervon in 
Kenntnis gesetzt wird. 
Streitig geworden ist die Frage, ob die allgemeine Rechnung über den Staats- 
haushaltsetat zum Zwecke der Entlastung der Staatsregierung durch die Kammern zuerst 
im Abgeordnetenhause eingebracht werden muß, dergestalt, daß das Herrenhaus vor der 
Beschlußnahme des Abgeordnetenhauses damit überhaupt nicht befaßt werden kann.! Eine 
ausdrückliche Entscheidung darüber hat die Verfassungsurkunde nicht getroffen; der Abs. 2 
des Art. 104 bestimmt nur, daß die Rechnung „den Kammern“ zur Entlastung der 
Staatsregierung vorgelegt werden soll. Die Vorschrift des Abs. 3 des Art. 62, wonach 
„Finanzgesetzentwürfe und Staatshaushaltsetats“ zuerst der Zweiten Kammer vor- 
gelegt werden müssen, läßt eine wörtliche Anwendung auf den Fall nicht zu. Denn 
die Vorlage der Staatsregierung, mit welcher diese die in Rede stehende Rechnung mit 
dem Antrage auf Erteilung der Entlastung vorlegt, ist zwar eine Finanzvorlage, 
aber kein „Finanzgesetzentwurf“. Aus dem Grunde der erwähnten Vorschrift des 
Art. 62, welche darauf beruht, daß im Abgeordnetenhause die eigentliche Vertretung der 
steuerlichen Interessen des Landes beruht, läßt sich aber allerdings analog der Schluß 
ziehen, daß diesem Hause in bezug auf alle Finanzvorlagen, auch wenn diese nicht in der 
förmlichen Gestalt eines Gesetzes erfolgen, der Vorrang gebührt. Ist dies aber richtig, 
so ergibt sich daraus, daß das Herrenhaus verfassungsmäßig mit der Beratung und Be- 
schlußfassung über die Dechargierung der Rechnung erst dann befaßt werden kann, nachdem 
  
1 Vgl. darüber die Verhandl. in der Sitz. des Bd. III, S. 2224—2227), welche indes zu einem 
A. H. v. 17. Juni 1865 (Stenogr. Ber. 1865, bestimmten Beschlusse nicht geführt haben.
	        
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