Das Steuerbewilligungsrecht. (S. 119.) 157
diejenige des Hauses der Abgeordneten vorangegangen ist; hieraus folgt weiter, daß
eine Ablehnung der von der Staatsregierung beantragten Entlastung seitens des Ab-
geordnetenhauses die Wirkung haben muß, daß die abgelehnte Vorlage nicht zur Beratung
und Beschlußfassung des Herrenhauses gelangen kann. Die Staatsregierung hat auch
seit Erlaß der Verfassungsurkunde stets die dementsprechende Praxis befolgt, die allge-
meinen Rechnungen über den Staatshaushaltsetat im Abgeordnetenhause einzubringen;
erst wenn von diesem die Entlastung ausgesprochen worden ist, sind sie an das Herren-
haus zur Beschlußnahme abgegeben worden. Erst im Jahre 1865, nachdem das Haus
der Abgeordneten zum ersten Male die von der Staatsregierung geforderte Entlastung
(für die allgemeinen Rechnungen der Jahre 1859, 1860 und 1861) versagt hatte, von
welchem Beschlusse nicht dem Herrenhause, sondern nur dem Staatsministerium Mitteilung
gemacht worden war#, hat das Herrenhaus sich mit dem Gegenstande dennoch beschäftigt
und beschlossen, seinerseits die Erteilung der von dem Abgeordnetenhause versagten Ent-
lastung auszusprechen 2, ein Verfahren, das indes im Abgeordnetenhause als Verletzung
seiner Privilegien bezeichnet wurde.3 Unzweifelhaft ist jedenfalls, daß die Staatsregierung
nach Art. 104 der Verfassungsurkunde der Entlastung seitens beider Häuser des Land-
tages bedarf und daß eine einseitige Entlastung seitens des Herrenhauses so lange ohne
allen praktischen Erfolg für die Staatsregierung bleibt, als nicht auch das Haus der
Abgeordneten beigetreten ist." Übrigens bleibt noch hervorzuheben, daß es, wenn eines
oder beide Häuser des Landtages in die Lage kommen sollten, der Staatsregierung die
Entlastung ganz oder teilweise versagen zu müssen, der Volksvertretung zurzeit noch alle
praktisch wirksamen Rechtsmittel fehlen, um das Ministerium, welchem die Entlastung
versagt worden ist, gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Verweigerung der
Entlastung ist weder durch die Verfassung noch durch ein besonderes Gesetz mit bestimmten
Rechtsnachteilen bedroht.¾ Es steht demnach auch nichts im Wege, daß die Regierung
den Behörden Entlastung für ihre Wirtschaftsführung erteilt, auch wenn die verfassungs-
mäßige Entlastung der Regierung selbst durch Beschluß der Kammern gemäß Verfassungs-
urkunde Art. 104 nicht hat erreicht werden können. Die Erteilung der Entlastung
durch die Oberrechnungskammer hat gemäß der ausdrücklichen Vorschrift in S. 17 des
Gesetzes v. 27. März 1872 die privatrechtlichen Folgen der Quittung.7
. 119.
Das Steuerbewilligungsrecht.]
I. Das Besteuerungsrecht besteht in der Befugnis, die zur Befriedigung der Staats-
bedürfnisse erforderlichen Mittel, insofern dazu die anderweitigen Einkünfte des Staates?
nicht ausreichen, auf die Vermögenskräfte der Staatsbürger als solcher zu verteilen und
1 Vgl. die Mitteilungen des Präsidiums des
A. H. in der Sitz. v. 17. Juni 1865 (Stenogr.
Ber. des A. H. 1865, Bd. III, S. 2225—20).
2 Vgl. den Bericht der Budgetkomm. des H. H.
v. 14. Juni 1865 (Stenogr. Ber. des H. H. 1865,
Anl. Bd., Nr. 47, S. 475) und Sitz. v. 16. Juni
1865 (Stenogr. Ber. des H. H. 1865, S. 329).
3 Vgl. die Reden des Abgeordn. Virchow in
der Sitz. v. 17. Juni 1865 (Stenogr. Ber. des
A. H. 1865, Bd. III, S. 2224 u. 2226—27),
welche indes zu einem dies aussprechenden An-
trage und Beschlusse des Hauses nicht geführt
aben.
b 4 Vgl. den Ber. der Budgetkomm. des H. H.
v. 14. Juni 1865 (Stenogr. Ber. des H. H. 1865,
Anl. Bd., Nr. 47, S. 475), desgl. die Bemerk.
des Abgeordn. Grafen v. Schwerin in der Sitz.
des A. H. v. 24. Mai 1865 (Stenogr. Ber. 1865,
Bd. III, S. 1687).
5 Die zivilrechtlichen Folgen, die Laband“,
Bd. IV, S. 523, aus der Verweigerung der Ent-
lastung herleitet, können Mangels einer Rechts-
vorschrift hierüber nicht anerkannt werden. Vgl.
Arndt, Verf. Urk., S. 358.
* Arndt, Verf. Urk., S. 356, anderer Ans.
Virchow im preuß. A. H., vgl. Note 3.
7 S. Arndt, Verf. Urk., S. 358; Laband",
IV, S. 523 u. 532.
* Literatur im Abschnitt über das Finanzrecht.
* Nämlich die Erträge aus den Staatsgütern
und den niederen Regalien, aus den Staats-
hoheitsrechten, den staatswirtschaftlichen Funktio-
nen und Monopolen des Staates und aus den
etwaigen gewerblichen Unternehmungen d. Staates.