Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

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aller christlichen Völker Staat und Kirche als zwei wesentlich selbständige Ver- 
bände. Da aber diese beiden wichtigen nebeneinander bestehenden Verbände vielfach 
miteinander in Berührung kommen müssen, bedarf es einer Ordnung der Beziehungen 
des Staates zur Kirche und zu den kirchlichen Einrichtungen. Namentlich fallen die 
kirchlichen Verhältnisse insoweit in den Bereich des Staates, als die Kirche auch eine 
äußere Organisation besitzt. Das rechtliche Verhältnis des Staates zu den christlichen 
Kirchen und zu anderen Religionsgesellschaften? gehört daher zu den Gegenständen des 
positiven Verfassungsrechtes. Der Inbegriff aller Rechtsvorschriften über die Beziehungen 
des Staates zur Kirche heißt das Staatskirchenrecht (jus publicum ecclesia- 
sticum).ꝰ 
II. Über das Verhältnis insbesondere der christlichen Kirchen zum Staate sind 
die Grundansichten zu den verschiedenen Zeiten sehr abweichend gewesen.“ Man hat 
den Rechten des Staates bald weitere, bald engere Grenzen gezogen. Nachdem im 
römischen und griechischen Reiche das Christentum zur Staatsreligion erhoben war, wurde 
die Kirche zur Staatskirche im strengsten Sinne des Wortes.? Der Kaiser war 
gleichzeitig das äußere Oberhaupt des Staates und der Kirche. Er übte nicht bloß die 
Vorbemerkungen. 
  
zwischen Staat und Kirche, 1872; Richter-Dove- 
Kahl, Kirchenrecht 2, 1886, 88§. 69—74, 98— 
102; v. Schulte, Lehrb. des kath. und evang. 
Kirchenrechts, 1886, S. 42 ff.; Zorn, Kirchen- 
recht, 1888, S. 178 ff., 208 ff.; Kahl, Lehrsystem 
des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, 1894, 
S. 246 ff.; Stutz, Kirchenrecht, in v. Holtzen= 
dorff-Kohlers Enzykl.", 1914, Bd. V, S. 392 ff., 
398 ff.; Schoen, Evangel. Kirchenrecht in Preußen, 
Bd. I, 1903, S. 154 ff.; Friedberg, Kirchen- 
recht"“, 1909, S. 36 ff., 52 ff., 71 ff., 98 ff., 
108 ff.; Frantz, Kirchenrecht 3, 1899, S. 60 ff.; 
Kahl, Kirchenrecht, in „Systematische Rechts- 
wissenschaft“:, 1913, S. 309 ff.; Rothenbücher, 
Die Trennung von Staat und Kirche, 1908; 
Rothenbücher, Wandlungen in dem Verhält- 
nisse von Staat und Kirche in der neueren Zeit, im 
Jahrb. des öffentl. Rechts, Bd. III, 1909, S. 336 ff.; 
O. Mayer, Ist eine Anderung des Verhältnisses 
zwischen Kirche und Staat anzustreben? Vor- 
trag, 1909; Böckenhoff, Kathol. Kirche und 
moderner Staat, 1911; Giese, Deutsches Kir- 
chensteuerrecht, in Stutz' Kirchenrechtl. Abhand- 
lungen, 1910, Heft 69—71, S. 583 ff.; Born- 
hak, Pr. St. R.2, Bd. III, 1914, S. 633 ff. 
Weitere Literaturangaben in den ständigen lber- 
sichten in Deutsche Ztschr. f. Kirchenrecht, Arch. f. 
kath. Kirchenrecht, Theolog. Jahresbericht, Stier- 
Somlos Jahrb. des Verwaltungsrechts. 
1 Der Gegensatz von Staat und Kirche war 
im Altertum nicht zur klaren Anschauung ge- 
kommen. Noch die Römer sahen das jus sacrum 
als einen Bestandteil des jus publicum an. Erst 
das Christentum hat dahin geführt, die Kirche 
als die religiöse Gemeinschaft der Menschen 
dem Staate als der politischen Gemeinschaft 
selbständig zur Seite zu stellen. 
2 Sowohl Kirchen als auch andere Reli- 
gionsgesellschaften sind Verbindungen von Men- 
schen zur gemeinsamen Gottesverehrung; indes 
wird in den modernen staatlichen Gesetzgebungen 
(auch nach der Terminologie des preuß. A. L. R. 
und der preuß. Verf. Urk.) die Bezeichnung „Kirche“ 
nur von den öffentlich ausgenommenen, mit den 
Rechten privilegierter Korporationen ausgestatteten 
Religionsgesellschaften gebraucht (Friedberg, 
  
Kirchenrecht, S. 12, 2, 113 f.; Kahl, Lehrsystem, 
S.341; Arndt, Preuß. Verf. Urk.7, 1911, S. 113). 
3 Das „Recht“ der Kirche lediglich als reli- 
giöser Gemeinschaft ist bei dem vom Staate 
insoweit unabhängigen Wesen der Kirche kein 
Teil des staatlichen Rechts, vom staatlichen Stand- 
punkte aus überhaupt kein wirkliches Recht. Was 
dagegen das Recht der Kirche als eines eine 
äußere Erscheinung annehmenden Verbandes 
(also abgesehen von dem religiösen Charakter) be- 
trifft, so gehört die Bestimmung dieser äußeren 
Verhältnisse der Kirche zugleich in das staatliche 
Recht und bildet einen besonderen Teil desselben 
mit der Bezeichnung „Staatskirchenrecht". 
Das Staatskirchenrecht begreift nur das Verhält- 
nis der Kirche zum Staate in sich, das öffent- 
liche Kirchenrecht wird damit keineswegs er- 
schöpft; denn letzteres ist der Inbegriff aller der- 
jenigen Rechtssätze, welche sich auf Verfassung 
und Verwaltung der Kirche und auf das Ver- 
hältnis der Mitglieder der Kirche zur Kirchen- 
gewalt beziehen. Das öffentliche Kirchenrecht be- 
greift nicht bloß die rechtlichen Beziehungen der 
Kirche nach außen (jus ecclesiasticum externo- 
publicum), sondern auch nach innen (jus eccles. 
interno-publ.), den Inbegriff aller Rechtsver- 
hältnisse, weche sich auf die Anordnung und Lei- 
tung des kirchlichen Organismus beziehen (ogl. 
Niedner, Der Begriff der innerkirchlichen An- 
gelegenheiten, Jena 1911). In das Gebiet des 
staatlichen Rechts gehört das Kirchenrecht 
nur insoweit, als nicht das Recht der Kirche von 
ihrem eigenen Standpunkte aus, sondern das 
Verhältnis des Staates zur Kirche und den kirch- 
lichen Einrichtungen vom Standpunkte des Staa- 
tes aus betrachtet wird. 
4 Gute Übersicht bei Kahl, Lehrsystem des 
Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, 1894, 252 ff. 
Über die Geschichte des Kirchenrechts jetzt vor 
allem Stutz, Kirchenrecht, in v. Holtzendorff- 
Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft?, Bd. V, 
S. 279 ff.; über die grundsätzlichen Beziehungen 
von Staat und Kirche das. S. 392 ff. 
5 Uber das römische Kirchenrecht Stutz a. a. O. 
Bd. V, S. 287 ff., bes. 298f.
	        
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