Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Der Weg der Gesetzgebung. 
G. 110.) 9 
Es ist ferner die wirkliche Zustimmung der beiden Kammern zu allen Gesetzen 
erforderlich, sie haben mithin nicht das bloße Recht der Beratung und Begutachtung, 
sondern eine beschließende Mitwirkung. 
b) Wie einerseits das Zustandekommen eines jeden Gesetzes an die Zustimmung 
der beiden Kammern gebunden ist, so ist andererseits dazu auch die Genehmigung des 
Königs allemal unerläßlich; es steht also dem Könige das „absolute Veto“ zu. 1 
Richtig gefaßt lautet dieser Rechtsgrundsatz: Jedes Gesetz ist ein königlicher Be- 
fehl; der Rechtsakt, in dem dies zum Ausdruck kommt, ist die Sanktion. 
J0) Von selbst versteht es sich, daß die authentische Auslegung eines Gesetzes 
  
Häuser des Landtages dergestalt übergegangen, 
daß diesen das Recht der Teilnahme an der ge- 
samten Gesetzgebung mit beschließender Be- 
fugnis zusteht. Es konnte seitdem also nur noch 
in Frage kommen, ob den Provinzialständen 
fortan noch das in §. 3 Nr. 1 des Ges. vom 
5. Juni 1823 gedachte Recht zustehe, über solche 
Gesetzentwürfe, welche allein die Provinz 
angehen, mit beratender Stimme gehört zu 
werden. Die für den ganzen damaligen Umfang 
der Monarchie erlassene (demnächst wieder aufge- 
hobene) Kreis-, Bezirks= und Provinzialordnung 
vom 11. März 1850 (G. S. 1850, S. 251), deren 
Art. 66 die sämtlichen frühern Gesetze über die 
Provinzial= und Kreisstände ausdrücklich für auf- 
gehoben erklärt, hatte in Art. 45 bestimmt, „daß 
die (durch jene Ordnung vom 11. März 1850 
angeordnete) Provinzialversammlung ihr Gut- 
achten über Einführung, Abänderung oder Auf- 
hebung von Provinzialgesetzen, sowie über andere 
Gegenstände abzugeben habe, wenn es von der 
Staatsregierung gefordert wird". Nach 
der durch das Ges. vom 24. Mai 1853 (G. S. 1853, 
S. 238) erfolgten Reaktivierung der früheren Ge- 
setze über die Kreis= und Provinzialverfassungen 
ist dann aber die Ansicht aufgestellt und nament- 
lich von dem H. H. festgehalten, auch von der 
Staatsregierung nicht bestritten worden, daß die 
reaktivierten provinzialständischen Körperschaften 
wieder das Recht haben, zu verlangen, daß 
ihnen diejenigen Gesetzentwürfe, welche allein die 
betreffende Provinz angehen, zur Beratung vor- 
gelegt werden. Dermalen ist lediglich maßgebend 
die Prov. O. vom 29. Juni 1875 (G. S. 1875, 
S. 335), welche in §. 34 Ziffer 1 bestimmt, daß 
der Provinziallandtag berufen ist, über diejenigen 
die Provinz betreffenden Gesetzentwürfe, sowie 
sonstigen Gegenstände sein Gutachten abzugeben, 
welche ihm zu dem Ende von der Staats- 
regierung überwiesen werden. Die gleiche 
Vorschrift findet sich in den sämtlichen übrigen 
Prov. O. Es ist also hier nicht von einem 
Rechte der Provinziallandtage die Rede, sondern 
nur von einer Verpflichtung derselben zur 
Abgabe eines Gutachtens, im Falle die 
Staatsregierung ein solches von ihnen ver- 
langt. Ob und in welchem Stadium aber die 
Staatsregierung dies für zweckmäßig erachtet, 
steht ganz in ihrem Ermessen. Von einer Ver- 
pflichtung der Krone, die Entwürfe bloßer 
Provinzialgesetze den Provinzialkörperschaften zur 
Beratung und Begutachtung vorzulegen, kann 
nicht mehr die Rede sein, sondern es ist viel- 
mehr die Bestimmung des §. 3, Ziffer 1 des Ges. 
  
v. 5. Juni 1823 durch den Art. 62 der Verf. Urk. 
außer Kraft gesetzt. Die älteren Streitfragen und 
die hierauf bezüglichen vielfachen Kammerver- 
handlungen sind somit jetzt gegenstandslos (s. 
v. Rönne, Verf. Urk., Bd. I, S. 354/55, Note 3 
a. E.). 
1 Das „absolute Veto“ des Königs ist in dem 
Ausdrucke des Art. 62 der Verf. Urk. enthalten, 
daß „die Ubereinstimmung des Königs und beider 
Kammern“ zu jedem Gesetze erforderlich sei, und 
in der Bestimmung des Art. 45, daß „der König 
die Verkündigung der Gesetze befiehlt". Man 
kann indes, strenge genommen, von einem Veto 
des Königs nach dem preuß. Verfassungsrechte, 
das sich dieses Ausdruckes nirgends bedient, über- 
haupt nicht sprechen, weil davon eigentlich nur 
die Rede sein kann, wenn einem anderen Sub- 
jekte das Recht zum Befehlen oder Gesetzgeben. 
zusteht (wovon in Art. 62 nicht die Rede ist, 
sondern nur von einer „Ubereinstimmung“ bei- 
der Kammern und des Königs). Vgl. Zachariä, 
D. St. u. B. R., 3. Aufl., §. 158, S. 162—163; 
Laband, St. R.5, Bd. II, S. 8 ff., der gleichfalls 
das Unrichtige des Ausdrucks hervorhebt; ferner 
H. Schulze, Pr. St. R., Bd. II, §. 172. Die 
Verfassungskommission der Nationalversammlung 
hatte in Art. 55 ihres Entwurfs ein nur suspen- 
sives Veto des Königs dergestalt aufgenommen, 
daß ein von beiden Kammern zum dritten Male 
unverändert angenommener Gesetzesvorschlag durch 
die dritte. Annahme Gesetzeskraft erhalten sollte 
(s. Rauers Verhandl. der Verf. Komm., S. 113 
u. 106, 130; desgl. v. Rönne, Bearbeitung der 
Verf. Urk., S. 119—120). Aus dem Gegensatze 
gegen dieses suspensive Veto erklärt sich auch die 
scheinbar tautologische Fassung der beiden ersten. 
Absätze des Art. 62; dies betont mit Recht Born- 
hak, 1, S. 515, die aus der behaupteten Tauto- 
logie gezogenen Schlußfolgerungen abweisend. Vgl. 
über diese Frage Hubrich, in Hirths Annalen, 1904, 
S. 846 f. Vgl. Fr. Murhard, Das königl. Veto 
in der konstitutionellen Monarchie, 1832; Held, 
System des Verfassungsrechtes, Bd. II, S. 490; 
Bluntschli, Allgem.St. R., 2.Aufl., Bd. L, S. 48; 
Zöpfl, Grundsätze des allgem. St. R., 4. Ausg., 
Bd. II, S. 452 ff. Von neuerer Literatur: Schwartz, 
Verf. Urk., S. 202; bes. aber Laband a. a. O., 
der die Frage am schärfsten in durchaus zutref- 
sender Weise behandelt. G. Meyer-Anschütz, 
S. 559 f., bestimmt das Verhältnis zwischen 
Monarch und Volksvertretung grundsätzlich in 
gleicher Weise, besonders S. 560, Note 3, gegen 
Hänelj; ebenso Anschütz in v. Holtzendorff-Koh- 
lers Enzyklopädie 7, Bd. IV, S. 156.
	        
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