Evangelische Kirche. (8. 127.) 187
Erster Titel.
Evangelische Kirche.
A. Landeskirche der älteren Provinzen.
S. 127.
I. Geschichtliche Entwicklung.!
Wie in den meisten deutschen evangelischen Landeskirchen, hat auch in den branden-
burgisch-preußischen Staaten die geschichtliche Entwicklung den Landesherrn an die Spitze
der evangelischen Kirche gestellt. In seinen Händen ruhte das Kirchenregiment, welches
mit Hilfe landesherrlicher Behörden geführt wurde. Später wurde zwar zur Errichtung
besonderer Behörden für die Verwaltung der Kirche — der Konsistorien — geschritten,
doch blieben die spezifischen Außerungen der Kirchengewalt: Gesetzgebung, Dispensation,
Amterverleihung (sog. jura reservata gegenüber den jura vicaria der Konsistorien) Staats-
sache. Erst in neuerer Zeit wurde der Versuch gemacht, die kirchliche Verwaltung von
der staatlichen zu trennen, insbesondere das Prinzip der Konsistorialverfassung auch in
der höheren Instanz zum Ausdruck gelangen zu lassen. — Die landrechtliche Gesetz-
gebung ist von keiner tief eingreifenden Bedeutung für die evangelische Kirchenverfassung
gewesen. Dieses Gesetzbuch verweist in dieser Beziehung im wesentlichen nur auf die
bestehenden evangelischen Kirchenverfassungen nach den in den einzelnen Provinzen und
Departements geltenden Konsistorial= und Kirchenordnungen.? Die bei der Redaktion
des Allgemeinen Landrechts beabsichtigte allgemeine Kirchenordnung ist nicht zustande ge-
1 Woltersdorf, Das preuß. Staatsgrund-
gesetz und die Kirche, Studien und Urkunden zur
Verfassungsfrage der evangel. Landeskirche in
Preußen, 1873; Wolter, Zur Geschichte und
Verfassung der evangel. Kirche in Preußen, 1869;
Thudichum, Kirchenrecht, 1877, Bd. L, S. 192 ff.;
Stutz, Kirchenrecht, a. a. O., Bd. V, S. 375 ff.;
Hubrich, Staat und Kirche in der preuß. Mon-
archie am Ausgange des 18. Jahrh., Verwaltungs-
archiv, Bd. XX, 1912, Bd. XXI, 1913; Jakob-
son, Gesch. der Quellen des Kirchenrechts des
preuß. Staates, Tl. I, Bd. II, S. 210 ff.; ders.,
Das evangel. Kirchenrecht des preuß. Staates und
seiner Provinzen, 1864, 1866; v. Mühler, Ge-
schichte der evangel. Kirchenverf. in der Mark
Brandenburg, 1846; Rieker, Die rechtl. Stellung
der evangel. Kirchen Deutschlands in ihrer ge-
schichtl. Entwicklung bis zur Gegenwart, 1893;
Pariset, L'’état et les é6glises en Prusse sous
Frédéric-Guillaume Ier, 1897; Goßner, Preuß.
evangel. Kirchenrecht, 1900, 2. Aufl. 1914; Born-
hak, Preuß. Staats= und Rechtsgeschichte, 1903;
ders., Pr. St. R.2, Bd. III, 1914, S. 633 ff., 661 ff.;
Schoen, Kirchenrecht, Bd. L, S. 11 ff.; Lüttgert,
Evangel. Kirchenrecht in Rheinland und West-
falen, 1905; Niedner, Grundzüge der Verwal-
tungsorganisation der altpreuß. Landeskirche, 1902;
Hoffmann, Die Einführung der Union und die
Separation der Altlutheraner, 1903; Wendland,
Die Religiosität und die kirchenpolitischen Grund-
sätze F. W. III, 1909; Foerster, Die Entstehung
der preuß. Landeskirche unter der Regierung König
Friedr. Wilhelms III. nach den QOuellen erzählt,
2 Bde., 1905, 1907; Theinert, Zur rechtl.
Kennzeichnung der Konsistorial= und Synodal-
verwaltung der altpreuß. evangel. Landeskirche,
Verw. Arch. Bd. XVI, S. 57—122; Zorn, Art.
Evangel. Kirche in v. Stengel-Fleischmanns W.
St. V. R2? Bd. 1, S. 742 ff.
Quellensammlung: Friedberg, Die geltenden
Verfassungsgesetze der evangel. deutschen Landes-
kirchen, Freiburg 1885, nebst 4 Ergänzungsbänden
1888, 1890, 1892, 1904.
2 a) A. L. R., II, 11, §. 143: Bei den
Protestanten (seit Kab. O. v. 3. April 1821: den
Evangelischen) kommen die Rechte und Pflichten
des Bischofs in Kirchensachen, der Regel nach, den
Konsistoriis zu. §. 144: Der Umfang der Ge-
schäfte derselben ist durch die Konsistorial= und
Kirchenordnungen, nach den verschiedenen Ver-
fassungen der Provinzen und Departements, näher
bestimmt. §. 145: Sämtliche Konsistoria der
Protestanten stehen unter der Oberdirektion des.
dazu verordneten Departements des Staatsmini-
sterii. §. 146: Ohne desselben Vorwissen und
Genehmigung kann in Kirchensachen keine Ver-
änderung vorgenommen, noch weniger können
neue Kirchenordnungen eingeführt werden. §. 66:
Die besonderen Rechte und Pflichten der pro-
testantischen Geistlichen sind durch die Konsistorial-
und Kirchen-Ordnungen bestimmt.
b) Diehauptsächlichsten Konsistorial= und Kirchen-
ordnungen sind folgende: für die Provinz Preußen
die Kab. O. v. 1568, für Brandenburg die Kab. O.
v. 1540 und die Kons. O. v. 1573, für Pommern
die Kab. O. v. 1563, die Agende v. 1567, die