Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Der Weg der Gesetzgebung. (§. 110.) 11 
steht sowohl dem Könige als jeder Kammer zu. Indem Art. 64 (Abs. 1) der Verfassungs- 
urkunde dies ausdrücklich bestimmt, spricht er indes zugleich (Abs. 2) eine darauf bezüg- 
liche Beschränkung aus, nämlich die, „daß Gesetzesvorschläge, welche durch eine der 
Kammern oder den König verworfen worden sind, in derselben Sitzungsperiode 
nicht wieder vorgebracht werden dürfen“. 1 Letztere Bestimmung hat zu einer Streit- 
frage Veranlassung gegeben. Es ist nämlich behauptet worden 2, daß unter den „Ge- 
setzesvorschlägen“, von welchen Abs. 2 des Art. 64 spricht, nur solche Gesetzesvorschläge 
zu verstehen seien, die unmittelbar vorher (Abs. 1) erwähnt sind, nämlich Gesetzesvorschläge 
des Königs oder einer der Kammern, nicht aber bloße Anträge auf solche Gesetzes- 
vorschläge, die von einzelnen Mitgliedern ausgehen. Ein solcher Antrag sei kein Ge- 
setzesvorschlag im Sinne des Art. 64, indem dieser Artikel eben nur dem Könige und 
den Kammern, nicht aber einzelnen Mitgliedern der Kammern das Recht zu Gesetzes- 
vorschlägen zugestehe; er sei vielmehr nur ein Antrag an das betreffende Haus, seiner- 
seits einen Gesetzesvorschlag zu machen. Die Verwerfung eines solchen Antrages vonseiten 
des Hauses, in welchem er gestellt worden, sei auch nicht bloß formell, sondern wesent- 
lich verschieden von der Verwerfung eines Gesetzesvorschlages eines der drei Faktoren 
der Gesetzgebung selbst durch einen anderen Faktor; denn es seien die triftigsten Gründe 
denkbar, den Antrag eines Mitgliedes auf einen Gesetzesvorschlag zu verwerfen, gleich- 
wohl aber einen Gesetzesvorschlag gleichen Inhalts des Königs oder eines der Häuser 
anzunehmen. Die entgegengesetzte Auslegung des Art. 64 würde dahin führen, daß ein 
einzelnes Mitglied eines der Häuser durch einen unzeitigen oder übel motivierten Antrag 
auf einen Gesetzesvorschlag den König und beide Häuser um das Recht bringen könnte, 
ein Gesetz gleichen Inhaltes in derselben Sitzungsperiode vorzulegen. Diese Auslegung 
des Abs. 2 des Art. 64 ist richtig. „Gesetzesvorschläge“ im Sinne der Verfassung sind 
nur diejenigen Vorschläge, welche von den gesetzgebenden Faktoren, also von der Krone 
oder von einer der beiden Kammern, nicht aber solche, die von einem einzelnen Mitgliede 
ausgehen; man ist zu der Annahme verpflichtet, daß darunter nur solche Vorschläge zu 
verstehen seien, von welchen Abs. 1 des Art. 64 spricht. Nur ein gemäß Geschäftsordnung 
§. 22 eingebrachter Antrag, der einen Gesetzentwurf enthält, ist ein „Gesetzesvorschlag“ 
im Sinne des Art. 64, darf also, wenn von einem der drei Faktoren der Gesetzgebung. 
abgelehnt, 
in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt eingebracht werden; dagegen ist 
  
mern, Gesuche oder Anträge auf Erlassung, 
authentische Interpretation, Aufhebung oder Ab- 
änderung der Gesetze (oder richtiger auf Vor- 
legung dahin zielender Gesetzentwürfe) an die 
Staatsregierung zu richten, ein Recht, das schon 
in dem Petitionsrechte (Art. 32) und, als das 
mindere, in dem Rechte der Initiative (Art. 64) 
begriffen ist. Die Benutzung dieses Rechtes emp- 
fiehlt sich vorzüglich in solchen Fällen, wo der 
Volksvertretung das Material abgeht, um in 
zweckmäßiger Weise von dem Rechte der Initia- 
tive im eigentlichen Sinne Gebrauch machen zu 
können. Vgl. Murhard, Die Initiative bei der 
Gesetzgebung, 1833; Zöpfl, Grunds. des allgem. 
u. D. Verf. R., 4. Ausg., Bd. II, S. 448 ff.; 
Held, System des Verf. R., Bd. II, S. 485 ff. 
Gegen das parlamentarische Recht der Initiative 
erklärt sich vom monarchischen Standpunkte aus 
Gerber, Grundzüge, §§. 40, 46. Dagegen mit 
Recht Bornhak?2, I, S. 523: „Mit dem mon- 
archischen Gesetzgebungerechte steht diese Initia- 
tive des Landtages in keiner Weise im Wider- 
spruch.“ G. Meyer-Anschütz, S. 565 f.; hier 
Anm. 1 noch weitere Literatur. 
1 Die Kammern haben bei der Revision der 
Verf. Urk. den Art. 64, abgesehen von einer 
Fassungsverbesserung, unverändert beibehalten. 
  
Der Ber. des Zentralaussch. der 1. K. (s. Stenogr. 
Ber. der 1. K., 1849—50, Bd. III, S. 1491) 
ergibt indes, daß dort der Antrag gestellt worden 
war, den Abs. 2 zur größeren Deutlichkeit dahin 
zu fassen: „Gesetzesvorschläge, welche ihrem ganzen. 
Inhalte nach — verworfen sind.“ Dieser Antrag 
wurde von dem Zentralausschusse abgelehnt, weil 
„die Abänderung unnötig sei; denn unter einem 
verworfenen Vorschlage könne nur ein seinem 
ganzen Inhalte nach verworfener verstanden 
werden, da ein Vorschlag, an welchem Eines oder 
das Andere verworfen sei, nur als ein mit Ab- 
änderungen angenommener betrachtet werden 
dürfe. Das Zurückziehen und Wiedereinbringen 
eines solchen in veränderter Gestalt sei auf 
Grund des Art. 64 ohne Zweifel statthaft.“ Die 
richtige Ansicht auch bei Schwartz, Verf. Urk., 
S.199 f.; Arndt, Verordn. R., S. 16 ff.; Born- 
baln I, S. 521; Jellinek, Ges. u. Verordn., 
S. 333. 
"m Nämlich von dem Staatsministerium und 
der Komm. des A. H. für Verf.-Angelegenheiten 
(vgl. den Komm. Ber. v. 8. März 1856 und die 
Erklärung des Min. d. Inn. v. Westphalen in 
der Sitz. des A. H. v. 14. April 1856, in den 
Stenogr. Ber. des A. H. 1855 —56, Zd. III, 
S. 1051, u. Bd. V, S. 379).
	        
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