Katholische Kirche. (S. 130.) 221
Zweiter Titel.
Katholische Kirche. 1
S. 130.
A. Bis zum Erlaß der Verfassungsurkunde.
Der brandenburgisch-preußische Staat war bis zum Regierungsantritt Friedrichs
des Großen sowohl nach seiner politischen Stellung als nach dem Bekenntnis der weit
überwiegenden Mehrzahl seiner Bevölkerung im wesentlichen ein evangelischer Staat.
Dies änderte sich erst mit dem Erwerb Schlesiens und der Teilung Polens. Für
Schlesien hatte Friedrich der Große : im Berliner Frieden v. 28. Juli 1742 die Zu-
sicherung erteilt, die katholische Kirche in statu quo zu erhalten, jedoch „mit gänzlichem
Vorbehalt der denen dahiesigen Protestanten zu verstattenden ohnumschränkten Gewissens-
freiheit und der dem Souverän des Landes kompetierenden Gerechtsame“. Unter Fest-
haltung aller landesherrlichen Befugnisse und Zurückweisung aller Ubergriffe des Klerus
hielt Friedrich der Große die bestehende schlesische Kirchenverfassung aufrecht. In ähn-
licher Weise wurde mit der katholischen Kirchenverfassung derjenigen Gebietsteile verfahren,
welche durch die Teilung Polens mit dem preußischen Staat vereinigt wurden.
Wie sich sodann seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf allen Gebieten
des Staatslebens eine zentralisierende Richtung geltend machte, so trat auch bezüglich des
Verhältnisses der katholischen Kirche zum Staate die Tendenz hervor, dieses für die
ganze Monarchie nach möglichst gleichartigen Grundsätzen festzustellen. Dementsprechend
wurde der Versuch gemacht, auch die Verfassung der katholischen Kirche nach ihrer staats-
kirchenrechtlichen Seite durch eine für die ganze Monarchie gültige Gesetzgebung zu
regeln. Das Allgemeine Landrecht kennt keine alleinherrschende Konfession, sondern die
katholische und die evangelische Kirche in ihren beiden Hauptzweigen sind vollständig
gleichberechtigt.? Ausgehend von der Gemeindeverfassung als dem Mittelpunkt der
Kirchenverfassung, knüpft das Allgemeine Landrecht hieran alle weiteren Bestimmungen
über die Rechte des Staates, die Befugnisse der Kirchenoberen, die Stellung der Geist-
lichkeit und die Gerechtsamen der einzelnen Kirchenmitglieder. In Anerkennung des
bischöflichen Kirchenregiments wird für die katholischen Gemeinden der Bischof als der
gemeinschaftliche Vorgesetzte aller Kirchengesellschaften innerhalb der Diözese erachtet und
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Kahl, Art. Bistum, in v. Stengel-Fleischmanns! und die kathol. Kirche in Schlesien seit dem
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Staat und kathol. Kirche in Preußen, 1883;
Friedberg, Das Deutsche Reich und die kathol kennt in den §§. 1 und 2 alle drei Konfessionen
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gebung usw., 1872; Friedberg, Sammlung der und öffentliche Kirchen an.
6 Auch das Religionsedikt v. 9. Juli 1788 er-