Notverordnungen.
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Notverordnung bildet allerdings eine Ausnahme von der Regel der nach Art. 62 not—
wendigen Ubereinstimmung der drei Faktoren der Gesetzgebung. Sie präsumiert einst-
weilen die Zustimmung der beiden anderen Faktoren und daher hat sie provisorische
Gesetzeskraft.
erfolgt ist.
Sie tritt in die Kategorie wirklicher Gesetze, sobald diese Zustimmung
Erweist sich indes die gedachte Präsumtion als unrichtig dadurch, daß
einer der beiden Faktoren das Gegenteil der Vermutung ausdrücklich ausspricht, indem
er seine Genehmigung versagt, so muß infolge der sich als irrig erweisenden Präsumtion
die auf diese gegründete provisorische Gesetzeskraft beseitigt werden.
Keineswegs aber
muß aus Wortlaut und Sinn des Art. 63 das sofortige ipso-Jure-Außerkrafttreten ge-
folgert werden. Vielmehr bedarf es desselben Weges, auf dem die Verordnung rechtlich
entstanden ist, um dieselbe rechtlich zu beseitigen: einer Verordnung des Königs, die zu
erlassen allerdings der König verfassungsmäßig verpflichtet ist.1
dem Justizminister in der 14. Sitz. der 2. K. v.
15. Jan. 1851 (Stenogr. Ber. der 2. K. 1850
—51, Bd. I, S. 105) ausdrücklich anerkannt wor-
den, indem derselbe bemerkte, „daß bei einer pro-
visorischen Verordnung die Nichtzustimmung einer
Kammer unbedingt die Beseitigung zur Folge
habe“. Diese Außerung spricht jedoch nicht für
die v. Rönnesche, sondern für die im Text auf-
gestellte Ansicht. Vgl. auch Schwartz, Verf. Urk.,
S. 211; Arndt, Verf. Urk., S. 206; v. Sten-
gel, S. 174; v. Schulze, II, S. 39; Born-
hak?, I, S. 546. Mit v. Rönne übereinstimmend
N. John, Rechtsgültigkeit und Verbindlichkeit
publizierter Gesetze und Verordnungen, in Aegidis
Zeitschr. f. D. St. R., I, S. 244 ff.
1 A. A. ist auch v. Gerber (Grundzige,
3. Aufl., S. 154), welcher annimmt, „daß das
Notgesetz seine Gesetzeskraft von selbst ver-
liert, sobald eine der beiden Kammern ihre Zu-
stimmung versagt, und zwar ohne daß es einer
besonderen Aufhebung desselben bedürfte. Denn
indem das Gesetz ausdrücklich auf den die provi-
sorische Gesetzgebung bestimmenden Artikel ge-
stützt worden, habe es vom Gesetzgeber über-
haupt nur eine mit Resolutivcharakter verbundene
Lebenskraft erhalten. Bis zum Eintritte dieser
Auflösung aber habe das provisorische Gesetz als
ein wirkliches Gesetz bestanden; die Auflösung
habe keine rückwirkende Kraft.“ v. Gerber be-
gründet diese seine Ansicht hauptsächlich damit,
„daß der Gesetzgeber selbst den Resolutivcharakter
gewollt habe und nur diesen habe wollen
können; es bedürfe mithin nicht mehr einer be-
sonderen Aufhebung, wenn das resolvierende Er-
eignis eingetreten ist“". Abweichend hiervon hat
v. Daniels (Pr. Privatrecht, Bd. I, S. 134,
Note 1) die Behauptung aufgestellt, „daß die
Genehmigung einer Notverordnung seitens der
Kammern nur den Sinn eines Anerkenntnisses
habe, daß ein ohne sie erlassenes Notstandsgesetz
keine Beeinträchtigung der ihnen zuständigen Mit-
wirkung enthalte“, und „daß eine königl. Ver-
ordnung niemals ihrem Wesen nach durch nach-
folgende ständische Beschlüsse eine Anderung er-
leiden könne““. Hieraus folgert dann v. Da-
niels, indem er noch auf den Abs. 2 des
Art. 106 Bezug nimmt, umgekehrt, „daß die
Versagung der ständischen Genehmigung, solange
sie nicht die Zurücknahme im Verordnungswege
zur Folge hat, die Verbindlichkeit des Erlasses
den Untertanen gegenüber bestehen lasse“, und
„daß Konflikte dieser Art zwischen der Staats-
gewalt und der ständischen Vertretung nur auf
verfassungsmäßigem Wege gehoben und ausge-
glichen werden können“. Gegen v. Gerber und
v. Rönne auch Schwartz, Verf. Urk., S. 211;
Arndt, Verf. Urk., S. 266. Gegen diese Ansicht
hatte v. Rönne bemerkt: „Diese Lehre läuft
darauf hinaus, die Verfassung in ihren Grund-
prinzipien zu erschüttern“, s. die eingehende, aber
grundlose Polemik in der 4. Aufl., Bd. 1, S. 376 f.,
Anm. 1. v. Rönne selbst bemerkt sehr richtig:
„Die Kammern haben das unbeschränkte Recht,
die Prüfung vorzunehmen und je nach deren Aus-
fall entweder ihre Genehmigung auszusprechen
oder zu versagen und hierdurch die fernere Rechts-
gültigkeit der Verordnung zu beseitigen. Ein
„Konflikt“ kann im letzteren Falle, insofern eine
verfassungsmäßige Staatsregierung vorauszusetzen
ist, überall nicht entstehen. Denn eine solche
ist selbstredend unbedingt verpflichtet, sofort nach
ausgesprochenem Dissensus einer Kammer die
Nichtgenehmigung der Verordnung zu publizieren.
und dieselbe zurückzunehmen. Setzt man indes
eine Staatsregierung voraus, welche die Verfassung
nicht beachten will, dann kann allerdings von
einem Konflikte die Rede sein. In welcher Weise
ein solcher zu lösen — dies ist dann aber keine
staatsrechtlich zu beantwortende Frage mehr,
weil einer Negierung, welche die Macht an Stelle
des Rechtes setzen will, mit Rechtsgrundsätzen
überhaupt nicht entgegengetreten werden mag.“
Vgl. auch den Ber. der Instizkomm. v. 8. Juni
1864 in den Stenogr. Ber. des A. H. 1864,
Bd. IV, S.465 ff., Nr. 70, und die Plenarverhandl.
darüber in der Sitz. v. 19. Jan. 1864, a. a. O.,
Bd. II, S. 787—794; ferner die Verhandl. in der
2. K. in deren Stenogr. Ber. 1850— 51, Bd. I,
S. 101 ff., und insbes. die Erörter., der Abgeordn.
Beseler, S. 108, und Simson, S. 112.
v. Mohl, Mürttemberg. St. R., Bd. I, S. 199
u. 201, Note 4; Zachariä, D. St. u. B. N.,
3. Aufl., Bd. II, S. 173, Note 13, der annimmt,
es müsse da, wo die Verfassung nicht ausdrück-
lich bestimme, daß eine von den Ständen nicht
genehmigte Verordnung sofort außer Kraft trete,
eine förmliche Zurücknahme derselben erfolgen
und es trete die Nichtigkeit nicht ipso jure ein,
zu welcher Ansicht sich auch Dulheuer (Die
Elemente des Pr. Rechts, S. 26, Note 2) be-
kennt, indem er annimmt, daß Notverordnungen,
weil sie den Gesetzen gleichgestellt sind, nach
dem Grundsatze des §. 60 der Einl. zum A. L. R.,
nur dadurch ihre Gültigkeit verlieren können,