Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Notverordnungen. 
G. 112.) 29 
Notverordnung bildet allerdings eine Ausnahme von der Regel der nach Art. 62 not— 
wendigen Ubereinstimmung der drei Faktoren der Gesetzgebung. Sie präsumiert einst- 
weilen die Zustimmung der beiden anderen Faktoren und daher hat sie provisorische 
Gesetzeskraft. 
erfolgt ist. 
Sie tritt in die Kategorie wirklicher Gesetze, sobald diese Zustimmung 
Erweist sich indes die gedachte Präsumtion als unrichtig dadurch, daß 
einer der beiden Faktoren das Gegenteil der Vermutung ausdrücklich ausspricht, indem 
er seine Genehmigung versagt, so muß infolge der sich als irrig erweisenden Präsumtion 
die auf diese gegründete provisorische Gesetzeskraft beseitigt werden. 
Keineswegs aber 
muß aus Wortlaut und Sinn des Art. 63 das sofortige ipso-Jure-Außerkrafttreten ge- 
folgert werden. Vielmehr bedarf es desselben Weges, auf dem die Verordnung rechtlich 
entstanden ist, um dieselbe rechtlich zu beseitigen: einer Verordnung des Königs, die zu 
erlassen allerdings der König verfassungsmäßig verpflichtet ist.1 
  
dem Justizminister in der 14. Sitz. der 2. K. v. 
15. Jan. 1851 (Stenogr. Ber. der 2. K. 1850 
—51, Bd. I, S. 105) ausdrücklich anerkannt wor- 
den, indem derselbe bemerkte, „daß bei einer pro- 
visorischen Verordnung die Nichtzustimmung einer 
Kammer unbedingt die Beseitigung zur Folge 
habe“. Diese Außerung spricht jedoch nicht für 
die v. Rönnesche, sondern für die im Text auf- 
gestellte Ansicht. Vgl. auch Schwartz, Verf. Urk., 
S. 211; Arndt, Verf. Urk., S. 206; v. Sten- 
gel, S. 174; v. Schulze, II, S. 39; Born- 
hak?, I, S. 546. Mit v. Rönne übereinstimmend 
N. John, Rechtsgültigkeit und Verbindlichkeit 
publizierter Gesetze und Verordnungen, in Aegidis 
Zeitschr. f. D. St. R., I, S. 244 ff. 
1 A. A. ist auch v. Gerber (Grundzige, 
3. Aufl., S. 154), welcher annimmt, „daß das 
Notgesetz seine Gesetzeskraft von selbst ver- 
liert, sobald eine der beiden Kammern ihre Zu- 
stimmung versagt, und zwar ohne daß es einer 
besonderen Aufhebung desselben bedürfte. Denn 
indem das Gesetz ausdrücklich auf den die provi- 
sorische Gesetzgebung bestimmenden Artikel ge- 
stützt worden, habe es vom Gesetzgeber über- 
haupt nur eine mit Resolutivcharakter verbundene 
Lebenskraft erhalten. Bis zum Eintritte dieser 
Auflösung aber habe das provisorische Gesetz als 
ein wirkliches Gesetz bestanden; die Auflösung 
habe keine rückwirkende Kraft.“ v. Gerber be- 
gründet diese seine Ansicht hauptsächlich damit, 
„daß der Gesetzgeber selbst den Resolutivcharakter 
gewollt habe und nur diesen habe wollen 
können; es bedürfe mithin nicht mehr einer be- 
sonderen Aufhebung, wenn das resolvierende Er- 
eignis eingetreten ist“". Abweichend hiervon hat 
v. Daniels (Pr. Privatrecht, Bd. I, S. 134, 
Note 1) die Behauptung aufgestellt, „daß die 
Genehmigung einer Notverordnung seitens der 
Kammern nur den Sinn eines Anerkenntnisses 
habe, daß ein ohne sie erlassenes Notstandsgesetz 
keine Beeinträchtigung der ihnen zuständigen Mit- 
wirkung enthalte“, und „daß eine königl. Ver- 
ordnung niemals ihrem Wesen nach durch nach- 
folgende ständische Beschlüsse eine Anderung er- 
leiden könne““. Hieraus folgert dann v. Da- 
niels, indem er noch auf den Abs. 2 des 
Art. 106 Bezug nimmt, umgekehrt, „daß die 
Versagung der ständischen Genehmigung, solange 
sie nicht die Zurücknahme im Verordnungswege 
zur Folge hat, die Verbindlichkeit des Erlasses 
den Untertanen gegenüber bestehen lasse“, und 
„daß Konflikte dieser Art zwischen der Staats- 
  
gewalt und der ständischen Vertretung nur auf 
verfassungsmäßigem Wege gehoben und ausge- 
glichen werden können“. Gegen v. Gerber und 
v. Rönne auch Schwartz, Verf. Urk., S. 211; 
Arndt, Verf. Urk., S. 266. Gegen diese Ansicht 
hatte v. Rönne bemerkt: „Diese Lehre läuft 
darauf hinaus, die Verfassung in ihren Grund- 
prinzipien zu erschüttern“, s. die eingehende, aber 
grundlose Polemik in der 4. Aufl., Bd. 1, S. 376 f., 
Anm. 1. v. Rönne selbst bemerkt sehr richtig: 
„Die Kammern haben das unbeschränkte Recht, 
die Prüfung vorzunehmen und je nach deren Aus- 
fall entweder ihre Genehmigung auszusprechen 
oder zu versagen und hierdurch die fernere Rechts- 
gültigkeit der Verordnung zu beseitigen. Ein 
„Konflikt“ kann im letzteren Falle, insofern eine 
verfassungsmäßige Staatsregierung vorauszusetzen 
ist, überall nicht entstehen. Denn eine solche 
ist selbstredend unbedingt verpflichtet, sofort nach 
ausgesprochenem Dissensus einer Kammer die 
Nichtgenehmigung der Verordnung zu publizieren. 
und dieselbe zurückzunehmen. Setzt man indes 
eine Staatsregierung voraus, welche die Verfassung 
nicht beachten will, dann kann allerdings von 
einem Konflikte die Rede sein. In welcher Weise 
ein solcher zu lösen — dies ist dann aber keine 
staatsrechtlich zu beantwortende Frage mehr, 
weil einer Negierung, welche die Macht an Stelle 
des Rechtes setzen will, mit Rechtsgrundsätzen 
überhaupt nicht entgegengetreten werden mag.“ 
Vgl. auch den Ber. der Instizkomm. v. 8. Juni 
1864 in den Stenogr. Ber. des A. H. 1864, 
Bd. IV, S.465 ff., Nr. 70, und die Plenarverhandl. 
darüber in der Sitz. v. 19. Jan. 1864, a. a. O., 
Bd. II, S. 787—794; ferner die Verhandl. in der 
2. K. in deren Stenogr. Ber. 1850— 51, Bd. I, 
S. 101 ff., und insbes. die Erörter., der Abgeordn. 
Beseler, S. 108, und Simson, S. 112. 
v. Mohl, Mürttemberg. St. R., Bd. I, S. 199 
u. 201, Note 4; Zachariä, D. St. u. B. N., 
3. Aufl., Bd. II, S. 173, Note 13, der annimmt, 
es müsse da, wo die Verfassung nicht ausdrück- 
lich bestimme, daß eine von den Ständen nicht 
genehmigte Verordnung sofort außer Kraft trete, 
eine förmliche Zurücknahme derselben erfolgen 
und es trete die Nichtigkeit nicht ipso jure ein, 
zu welcher Ansicht sich auch Dulheuer (Die 
Elemente des Pr. Rechts, S. 26, Note 2) be- 
kennt, indem er annimmt, daß Notverordnungen, 
weil sie den Gesetzen gleichgestellt sind, nach 
dem Grundsatze des §. 60 der Einl. zum A. L. R., 
nur dadurch ihre Gültigkeit verlieren können,
	        
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