30 Die Gesetzgebung. (8. 113.)
Zweifelhaft kann es jedoch gefunden werden, ob die durch Notverordnung erfolgte
Aufhebung eines Gesetzes die Wirkung hat, daß dieses als solches aufgehoben bleibt,
wenn die Notverordnung selbst später wieder aufgehoben wird. Es muß angenommen
werden, daß dadurch, daß die Notverordnung außer Kraft gesetzt wird, diejenigen Gesetze
von selbst wieder in Kraft treten, welche durch sie beseitigt waren, daß jedoch die Be-
seitigung der Notverordnung keine rückwirkende Kraft hat, sondern daß sie bis zu dem
Zeitpunkte, mit welchem ihre verbindliche Kraft aufhört, also der formellen Wieder-
aufhebung durch eine neue königliche Verordnung, als ein gültiges Gesetz zu behandeln ist.1
Wenn die Notverordnung von den Kammern nicht genehmigt wird, so muß sie zwar ihrem
ganzen Inhalte nach, zu welchem auch die Aufhebung des bis dahin bestandenen
Gesetzes gehört, wieder beseitigt werden; die rechtliche Wirksamkeit aber in betreff solcher
Rechtsverhältnisse, welche innerhalb der Zeit, während welcher sie in Kraft war,
entstanden sind, kann dadurch nicht berührt werden. Für die außerhalb dieses Zeit-
raums (rückwärts sowie für die Zukunft) begründeten Rechtsverhältnisse kann der nur
unter der Voraussetzung der Genehmigung der Kammern erlassenen Notverordnung gar
keine rechtlich verbindende Kraft beigemessen werden, sobald feststeht, daß jene Vor-
aussetzung eine unrichtige gewesen ist. Es muß daher angenommen werden, daß
auch die Aufhebung des bisher bestandenen Gesetzes nur unter erhoffter Zustimmung
der Kammern (also provisorisch) erfolgt ist; daraus folgt, daß in dem Falle, wenn jene
Zustimmung nicht erfolgt, auch die provisorische Aufhebung des bisherigen Gesetzes
wieder erlischt, folglich dieses Gesetz wieder in seine einstweilen nur suspendierte recht-
liche Wirksamkeit zurücktritt, sobald die Notverordnung formell wieder aufgehoben ist.
S. 113.
Ausführungsverordnungen.?
I. Das nach dem dritten Satze des Art. 45 der Verfassungsurkunde dem Könige
zustehende Recht, „die zur Ausführung der Gesetze nötigen Verordnungen zu erlassen“,
daß der Akt der Versagung der Zustimmung des
Landtages (womit wohl gemeint ist: „eines der
beiden Häuser der Landesvertretung“) von dem
Staatsministerium durch die Gesetzsammlung
publiziert worden ist. Auf dem gleichen Boden
stehen auch der Verf. des Aufsatzes in Aegidis
Zeitschr. f. D. St. R., Bd. I, Heft 3, S. 221 ff.,
und v. Schulze (Pr. St. R., Bd. II, S. 39 ff.).
Vgl. auch Dernburg, Pr. Privatrecht, Bd. I,
§. 16, S. 30; Held, System des Verf. R., Bd. II,
S. 91, bemerkt: „Sobald die Möglichkeit einer
verfassungsmäßigen Behandlung des einstweilen
provisorisch geordneten Gesetzgebungsgegenstan-
des wirklich vorhanden ist, muß letzterer auch
eintreten, und von dem Resultate dersel-
ben die Fortdauer des provisorischen Ge-
setzes und dessen Ubergang ins Defini-
tivum abhängen.“ Aus dem Standpunkte
de lege ferenda spricht sich über die Frage
v. Mohl (Staatsrecht, Völkerrecht und Politik,
Bd. II, S. 67) dahin aus, „daß es das einzig
richtige Mittel zur Festhaltung des Verhältnisses
der bloß vorläufigen Gültigkeit oktroyierter
Verordnungen sei, die Bestimmung zu treffen,
daß sie ihre Verbindlichkeit von selbst verlieren,
wenn bei dem nächsten Zusammentreten der
Ständeversammlung deren Zustimmung nicht
usdrücklich ausgesprochen wird“.
1 Vxgl. G. Meyer-Anschütz, S. 412; Born-
hak?2, I. S. 547. Dagegen v. Held (System
des Verf. R., Bd. II, S. 90), der annimmt, daß
nicht die Aufhebung des bis dahin geltend ge-
wesenen Gesetzes provisorisch ist, sondern nur die
Notverordnung, und hinzufügt: „Wenn daher das
provisorische Gesetz durch den verfassungsmäßigen
Beschluß der Stände über dasselbe direkt oder
indirekt, ausdrücklich oder stillschweigend wieder
aufgehoben ist, so tritt dadurch das frühere Ge-
setz durchaus nicht wieder von selbst in Wirk-
samkeit, sondern es muß ein neues Gesetz in der
verfassungsmäßigen Form erlassen werden, welches
entweder wieder ein provisorisches oder ein in der
ordentlichen verfassungsmäßigen Form erlas-
senes Gesetz sein, dem Inhalte nach aber wohl
vollkommen mit dem fraglichen aufgehobenen Ge-
setze übereinstimmen kann.“ Es ergibt sich hier-
aus, daß Held selbst seine Behauptung auf den
Fall beschränkt, daß die Notverordnung eine gül-
tige (d. h. also nach der Verfassung eine den
Bedingungen des Art. 63 entsprechende, mithin
namentlich nicht eine der Verfassung zu-
widerlaufende) ist, was somit die Behörden
in jedem einzelnen Falle zu prüfen haben wür-
den, wo es sich um die Entscheidung der Frage
handelt, ob das aufgehobene Gesetz wieder in
Kraft getreten sei oder nicht, eine Prüfung, die
mithin eine Beschränkung der Regel des Abs. 2
des Art. 106 der Verf. Urk. bilden würde.
2 Bornhak:, I, S. 475 ff.; v. Schulze, II,
S. 25 ff.; Arndt, Verf. Urk., zu Art. 45.