Sanktion und Publikation der Gesetze und Verordnungen. (§. 115.) 45
Gesetze ist es herkömmlich geworden, daß der erfolgten Genehmigung des Hauses der
Abgeordneten und des Herrenhauses Erwähnung getan wird. Odgleich die Verfassungs-
urkunde dies nicht, wie die Verfassungsurkunden einzelner anderer deutscher Staaten;,
ausdrücklich vorgeschrieben hat, so ist doch diese ausdrückliche Erwähnung von jeher (schon
zur Zeit der altlandständischen Staatsform) nicht unterlassen und in Preußen insbesondere
seit Erlaß der Verfassungsurkunde stets beobachtet worden. In betreff der von dem
Könige erlassenen Notverordnungen (Art. 63) wird zweckmäßig — positiv vorgeschrieben
ist dies auch nicht — im Eingang die Bezugnahme auf den Art. 63 eintreten. Er-
halten solche Notverordnungen demnächst die Genehmigung der Kammern und verwandelt
sich hierdurch ihre bisherige Eigenschaft provisorischer Gesetze in die wirklicher Gesetze,
so ist es erforderlich, dies in förmlicher Weise zu publizieren, um hierdurch die vorläufige
Verordnung der Klasse eigentlicher Gesetze einzureihen."
Jc) Uber die Art und Weise der Publikation der Gesetze 5 und königlichen Verord-
nungen, also in betreff der Form, welche erforderlich ist, um diesen allgemein verbind-
liche Kraft (Art. 106, Abs. 1) zu geben, sowie hinsichtlich des Anfanges der Verpflich-
tungskraft gelten jetzt folgende Grundsätze:
1 Vgl. die Beispiele in Zöpfls Grunds. des
Allgem. u. D. St. R., 5. Aufl., Bd. II, S. 328,
Note 17.
2 Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl.,
Bd. II, S. 167 und v. Rönne in den früheren
Auflagen (4. Aufl., Bd. I, S. 394) sind der An-
sicht, diese Bezugnahme sei rechtlich notwendig
und „gehöre zur wesentlichen Form“ des Ge-
setzes; nur dann sei das Gesetz ein „verfassungs-
mäßiges und als solches die Staatsbürger ver-
pflichtendes“. Art. 62, auf den man sich beruft,
sagt davon nichts; eine „unbestreitbare Konse-
quenz“ aus Art. 62 ist die Bezugnahme auch
nicht; rechtlich kann es nur darauf ankommen,
ob die Vorschriften des Art. 62 befolgt sind; die
ausdrückliche Verlautbarung der Zustimmung der
Kammern mag ganz zweckmäßig sein, hat aber
mangels positiver Vorschriften hierüber mit nich-
ten die weittragende rechtliche Bedeutung, die ihr
v. Rönne und Zachariä beilegen. Nimmt man
mit Laband die Promulgation als selbständigen
Akt der Gesetzgebung zwischen Sanktion und
Publikation an, so verschwindet vollends die
rechtliche Bedeutung jener Bezugnahme auf die
Zustimmung der Kammern ganz, da die Prüfung
hierüber der Kernpunkt der Promulgation und diese
die rechtliche Voraussetzung der Publikation ist.
Vgl. auch den Aufsatz: „Studien über das Pr.
Staatsrecht“ in Aegidis Zeitschr. für D. St. R.,
Bd. I, Heft 1, S. 188 ff., wozu Zachariä (D.
St. u. B. R., 3. Aufl., Bd. II, S. 177, Note 3)
bemerkt, daß diese Meinung den reinsten Absolu-
tismus involviere!
3 Dies ist auch von der Staatsregierung be-
obachtet (vgl. z. B. die Verordn. v. 5. Juni
1850, betr. die Presse, G. S. 1850, S. 329,
und die Verordn. v. 1. Juni 1863, betr. das
Verbot von Zeitungen und Zeitschriften, G. S.
1863, S. 349) und öfter sogar im Eingange der
Verordnung der ausdrückliche Vorbehalt der Zu-
stimmung der Kammern gemacht worden (ogl.
z. B. die Verordn. v. 4. Aug. 1852 über die
Bildung der 1. K., G. S. 1852, S. 549). Da-
gegen ist es nicht notwendig, dergleichen Verord-
nungen ausdrücklich als „vorläufige“ zu be-
zeichnen, obschon es sich (nach Art. 63 der Verf.
Urk.) von selbst versteht, daß sie nur provisorische
Gesetzeskraft haben. Ein Antrag (in der 2. K.),
welcher dem Art. 63 hinzufügen wollte: „Solche
Erlasse sind unter der Bezeichnung „vorläufige
Verordnungen“ bekannt zu machen“, ist sogar
ausdrücklich abgelehnt worden (s. Stenogr. Ber.
der 2. K. 1849—50, S. 582 ff., und v. Rönnes
Bearbeitung der Verf. Urk., S. 123).
4 Das in dieser Beziehung durchgängig beob-
achtete Verfahren ist denn auch dem angemessen
dahin gegangen, daß das gesamte Staatsmini-
sterium die Tatsache der Erteilung der Genehmi-
gung der beiden Kammern durch die Gesetzsamm-
lung veröffentlicht hat (vgl. z. B. G. S. 1850,
S. 5, 7, 8, 16, 43, 44, 6ö7; G. S. 1851, S. 36,
180). In solchen Fällen dagegen, wo an Stelle
der Notverordnung ein von dieser abweichendes
Gesetz vereinbart worden, ist in diesem die Not-
verordnung ausdrücklich für aufgehoben erklärt
worden (vgl. z. B. das Preßges. v. 12. Mai 1851,
§. 56, G. S. 1851, S. 286; Ges. v. 11. März
1850, betr. die Bestrafung gegen Deserteure usw.,
G. S. 1850, S. 271; Verordn. v. 26. Febr.
1872 wegen Auphebung der Verordn. v. 10. Juni
1871, betr. die Errichtung von Bankkontoren usw.
im Elsaß und in Lothringen durch die Preuß.
Bank, G. S. 1872, S. 182). Vgl. hierüber auch
die Stenogr. Ber. der 1. K. 1849—50, Bd. III,
S. 1189—90.
5 Uber die Publikation s. Schwartz, Verf.
Urk., S. 328 ff.; Hubrich, a. a. O. (oben S. 41,
N. 2). Uber die Art der Publikation der Polizei-
verordnungen (s. oben §. 114, S. 32 ff., und unten
§. 116) vgl. unten zu d.
6 Für die Gesetze aus der Zeit vor der Publi-
kation des Ges. v. 3. April 1846 sind in dieser
Beziehung die älteren Vorschriften maßgebend.
Die gehörige Bekanntmachung bestand damals
a) für die vor dem 25. Aug. 1717 erschienenen
Gesetze in der gemeinrechtlich üblichen Ver-
kündigung von der Kanzel und Anschlagung
an öffentlichen Orten. In betreff dieser Ge-
setze kann der Tag der Publikation niemals
genau festgestellt werden, sondern läßt sich
nur annäherungsweise nach dem Tage, an
welchem der Befehl zur Publikation erlassen,
bestimmen.