66 Die Gesetzgebung. (§. 117.)
zu leistenden Verfassungseid betrifft, so bestimmt Art. 58 ausdrücklich über den Zeitpunkt
der Ablegung, daß der Regent jenen Eid „nach Einrichtung der Regentschaft“ zu
schwören hat. — Wenn nun aber der Nachfolger in der Regierung es unterlassen
oder sich ausdrücklich weigern sollte, der Bestimmung des Art. 54 der Verfassungs-
urkunde zu genügen, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dies eine Verfassungs=
verletzung sein würde, und daß in solchem Falle der Volksvertretung, wie bei jeder
Verletzung der Verfassung, zustehen und obliegen würde, zur Beseitigung der Verfassungs-
verletzung alle rechtlichen und verfassungsmäßigen Mittel zur Anwendung zu bringen.1
Die Verfassungsurkunde enthält keine Bestimmungen über die rechtlichen Folgen der
Unterlassung oder Verweigerung der Ableistung des Verfassungseides des Regierungs-
nachfolgers.? Unzweifelhaft würde der König in diesem Falle die Verfassung verletzen.
Der Ubergang der Krone aber und damit der königlichen Gewalt wäre hierdurch recht-
lich nicht berührt. Denn dieser Ubergang tritt nach deutschem Staatsrecht im Augenblick
des Todes des Vorgängers ipso jure ohne jede äußere Handlung ein. Eine rechtliche
Ungültigkeit der Regierungshandlungen des Königs, der den Verfassungseid nicht geleistet
hat, läßt sich in keiner Weise behaupten; die einschlägigen Ausführungen v. Rönnes
in den früheren Auflagen dieses Werkes (4. Aufl., Bd. II, S. 343) sind unhaltbar,
ebenso wie die dafür gegebene Begründung: es sei die „rechtliche Natur des Staats-
grundgesetzes“, daß dasselbe „zwischen der Krone und der Volksvertretung vereinbart“
sei. Die Verfassung ist staatsrechtlich nicht „vereinbart“, sondern vom Könige gegeben.3
Demgemäß kann auch weiter nicht behauptet werden, daß die Gegenzeichnung von
Ministern für Regierungshandlungen in diesem Falle der rechtlichen Gültigkeit entbehre.
Wohl aber wird aus allgemeinen Gesichtspunkten behauptet werden müssen, daß die
Grundsätze über Ministerverantwortlichkeit, eventuell Ministeranklage hier zur Anwendung
kommen müssen.
Eine weitere juristische Feststellung dieses Falles ist untunlich.
ihre Absicht ist, den Eid sofort bei dem Antritte
der Regierung des Königs zu verlangen. Dafür
spricht auch der Umstand, daß der erste Abs. des
Art. 54 die Volljährigkeit des Königs auf das
achtzehnte Lebensjahr feststellt und dann im An-
schluß an diese Bestimmung vorschreibt, daß der
König verbunden ist, das eidliche Gelöbnis zu
leisten. Daraus erhellt, daß dieses allemal beim
Antritte der Regierung abgelegt werden
muß. Auch spricht hierfür noch die Vorschrift
des Art. 119, wonach der König zum ersten Male
jenen Eid sogleich nach Vollendung der Revision
der Verfassung zu leisten sich verpflichtet hatte
und dieser von ihm verfassungsmäßig über-
nommenen Verbindlichkeit auch genügt hat.
1 Nach älterem deutschen Staatsrechte waren
die Stände in solchem Falle zur Klage bei den
Reichsgerichten berechtigt und die letzteren er-
kannten auch die Verpflichtung der Landesherren
zur Ausstellung der herkömmlichen Reversalien
an (vgl. Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl.,
Bd. J, S. 298 u. 301). Da nach dem heutigen
deutschen Staatsrechte der reichsgerichtliche Schutz
wegfällt und für die preuß. Verfassung auch eine
besondere auswärtige Garantie nicht besteht, so
sind die der Volksvertretung zu Gebote stehenden
verfassungsmäßigen Mittel zunächst diejenigen,
welche ihr durch die Verfassung selbst dargeboten
werden. Diese würden nun vor allem aus der
Bestimmung des Art. 44 der Verf. Urk. zu ent-
nehmen sein, wonach die Minister des Königs
verantwortlich und alle Regierungsakte des Königs
ohne ministerielle Gegenzeichnung ungültig sind;
denn unzweifelhaft würden die Minister auch da-
für verantwortlich sein, daß der König, welcher
der Vorschrift des Art. 54 der Verf. Urk. Genüge
zu leisten verweigert, dennoch die ihm nach der
Verf. Urk. zustehenden Regierungsrechte ausüben
sollte, und es kann nicht in Zweifel gezogen
werden, daß diejenigen Minister sich der Ver-
fassungsverletzung teilhaftig machen würden,
welche ungeachtet solcher Weigerung des Königs
dessen Regierungsakte gegenzeichneten. Allein da
das in Art. 61 der Verf. Urk. verheißene Minister-
verantwortlichkeitsgesetz noch nicht erlassen wor-
den, so fehlt es für jetzt an der Möglichkeit, die
verfassungsmäßig bestehende Verantwortlichkeit
der Minister zur Geltung zu bringen.
2 Von den vor dem Jahre 1848 zustande ge-
kommenen deutschen Verfassungsurkunden be-
stimmt keine ausdrücklich, daß der Thronfolger
nicht eher berechtigt sei, Regierungsrechte auszu-
üben, bis er die Verfassung in vorgeschriebener
Form bestätigt habe. Für Württemberg folgert
v. Mohl dies (vgl. dessen Württemb. St. R.,
Bd. I, S. 172 ff.), indes nicht ohne Widerspruch
(vgl. Reyscher, Publizist. Versuche, S. 278, und
Held, System des Verf. N., Bd. II, S. 272,
Note 2). Dagegen sprechen mehrere seit 1848
entstandene Verf. Urk. jene Folgerung ausdrück-
lich aus, z. B. Reuß j. L. §. 120, Anhalt-
Dessau §. 65, Oldenburg Art. 225, Gotha (1849)
§. 14, Koburg-Gotha (1852) §. 157, von welchen
einige sogar vorschreiben, daß bis dahin eine
Zwischenregierung des Staatsministeriums ein-
trete. — Vgl. Grotefend, Das D. St. R. der
Gegenwart, S. 3964 ff.
3 S. hierüber oben Bd. I, S. Xf.
4 Rönne führte hierüber aus: „Die Unter-
lassung oder Verweigerung der Ableistung des