. Die besonderen Garantien der Verfassung. (S. 117.) 77
liegen wie alle übrigen öffentlichen Beamten, die sich solcher strafbaren Handlungen
schuldig machen. Dem Institut der „rechtlichen“ Ministerverantwortlichkeit im Sinne
des Staatsrechtes liegt daher keineswegs der Gedanke zugrunde, daß die Minister wegen
ungesetzlicher Handlungen dem Monarchen und seinen Gerichten verantwortlich sind, son-
dern die Absicht dieses Instituts ist vornehmlich dahin gerichtet, daß die Minister für
den Fall, wo sie als Organe des Herrschers die Verfassung verletzen, vor einem un-
abhängigen Gerichtshofe von der Volksvertretung angeklagt werden können.? Diese be-
sondere staatsrechtliche Verantwortlichkeit der Minister für die Beobachtung der Ver-
fassung ist daher jederzeit und allenthalben als ein besonders wichtiger Bestandteil des
konstitutionellen Prinzips betrachtet worden.3 Diese staatsrechtliche Verantwortlichkeit er-
setzt bei den Ministern die Disziplinargewalt; einer solchen können die Minister nicht
unterstehen, da es keine ihnen vorgesetzte Behörde gibt." Auch die preußische Verfassungs-
urkunde hat dies anerkannt, indem sie (§. 61) bestimmt, „daß die Minister durch den
Beschluß einer Kammer wegen des Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung
und des Verrates 5 angeklagt werden können“, und „daß über solche Anklagen der oberste
1 Vgl. Schwartz, Verf. Urk., zu Art. 61;
Arndt, Verf. Urk., S. 210. Die Erhebung des Kon-
fliktes nach dem Ges. v. 13. Febr. 1854 ist Mi-
nistern gegenüber unmöglich, da es keine ihnen
vorgesetzte Behörde gibt, daher auch L. V. G.,
§. 114 — Entsch. des O. V. G. — unanwend-
bar, s. jedoch O. V. G., Bd. 47, S. 440.
2 Die einfache „Verfassungsverletzung"“
oder gar die bloße „Gesetzesverletzung“ kann
nach allgemeinen strafrechtlichen Prinzipien nicht
als Verbrechen angesehen und unter Strafe ge-
stellt werden. Anders aber in bezug auf die
Minister. Während untergeordnete Beamte nur
in ihrem Bereiche verletzend eingreifen können
und wesentlich Diener eines fremden Willens
sind, bezieht sich die Amtstätigkeit der unmittel-
baren Räte der Krone auf den Staat und sie
sind daher in höherem Grade juristisch verant-
wortlich (vgl. Dahlmann, Politik, S. 106;
Samuely, a. a. O., S. 40 ff.).
: Mit einiger Ubertreibung sagt Schmitt-
henner (Grundlinien des idealen St. R., S. 423
—424), „daß dies nicht bloß in einer nach dem
Prinzip der Volkssouveränität konstruierten Mon-
archie gilt, sondern daß es sich auch mit dem
Wesen derjenigen Monarchie, die auf dem Prinzip
der Legitimität ruht und in der mehr als in
irgendeiner anderen Staatsform das Recht heilig
sein muß, sehr wohl verträgt, daß jeder Unter-
tan, der ruchlos an die Verfassung tastet, dem
Gesetze verfällt. Die Berufung auf einen Auf-
trag des Regenten kann schon nach allgemeinen
Rechtsgrundsätzen nicht entschuldigen; denn zu
einem Verbrechen kann es keine Verpflichtung
geben; eine solche zu einem Angriff auf die be-
schworene Verfassung oder zu einer Abweichung
von derselben geht über den verfassungsmäßigen
Gehorsam hinaus.““ Ahnlich Le Graverend in
dem Werke: Des lacunes de la Llégislation
française, Tom. II, ch. III: „La responsa-
bilité des ministres est tellement inhérente
àa Pessence d'une monarchie constitutionnelle,
due Pon peut affirmer que, sans cette ga-
rantie nécessaire, il serait impossible d’in-
diquer une différence réelle dans la pratique
et ’action entre la nature de ce gouverne-
ment et celle d’'une monarchie absolue. Sans
cette responsabilité tout deviendrait faux et
dérisoire, et malgré la forme du gouverle-
ment représentatif il ne resteraient plus qdue
des chambres frappées Vimpuissance en pré-
sence des ministres, qui pourraient tout oser,
et qui, retranchés derrière le monarque in-
violable, seraient toujours assurés de Dim-
punité.“ Ubertrieben auch v. Rönne in den
früheren Auflagen (4. Aufl., Bd. II, S. 354):
„Die Verwirklichung jener Verantwortlichkeit bil-
det daher den Schlußstein der Verfassung und
diejenige Garantie, welche allen übrigen erst Halt-
barkeit und wirkliche Bedeutung gewährt.“
4 Vgl. Schwartz, Verf. Urk., S. 191.
5 Der von der Staatsregierung vorgelegte Ver-
fassungsentwurf v. 20. Mai 1848 (s8§. 33) hatte
nur die Bestimmung aufgenommen, daß die An-
klage seitens der 2. Kammer gegen die Minister
„wegen einer durch eine Amtshandlung begange-
nen Gesetzesverletzung“ solle erhoben werden
können. Die Verf. Komm. der Nat. Vers.
änderte dies indes (in Art. 54 ihres Entwurfes)
dahin ab, „daß jeder der beiden Kammern das
Recht zustehen solle, die Minister wegen des
Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Be-
stechung und des Verrats anzuklagen“, und hier-
aus ist der Satz in den Art. 59 der Verf. Urk.
v. 5. Dez. 1848, aus dieser unverändert in den
Art. 61 der revid. Verf. Urk. übergegangen. Bei
der Revision trug der Zentralaussch, der 1. Kam-
mer auf Streichung der Worte: „der Bestechung
und des Verrats“ an, indem er bemerkte, „daß
der Kern der Sache die Verantwortlichkeit für
Verfassungsverletzungen sei, worüber das Spezial-
gesetz die näheren Bestimmungen zu erteilen habe,
und daß es keinen zureichenden Grund dafür
gebe, jene Verantwortlichkeit auf bestimmte Ver-
brechen, welche ohnehin den allgemeinen Straf-
gesetzen verfielen, oder auf Verletzungen und Über-
schreitungen aller Arten von Gesetzen ohne Unter-
schied auszudehnen, wobei die Verfassung nicht
kongruiert" (Stenogr. Ber. der 1. K. 1849—
50, S. 1231 ff.). Allein dieser Antrag wurde
vom Plenum abgelehnt (a. a. O., S. 1233—34).
Die Verbrechen der Bestechung und des Ver-
rats können somit gegen die Minister sowohl
von den Kammern als von der Staatsan-
waltschaft, soweit ein strafgesetzlicher Tatbestand
vorliegt, zum Gegenstande der Anklage gemacht